Editorial

Auf den Spuren des Wandels

Forschung an den Brennpunkten unseres Planeten

Als Polarforscher haben wir das Glück, in einzigartigen Naturräumen arbeiten zu dürfen. Die Arktis fesselt durch die rauen Gletscherfjorde Grönlands und Spitzbergens, durch Begegnungen mit wachsamen, elegant auf Eisschollen dahinschreitenden Eisbären und durch die scharfen Kontraste, die sich aus dem Zustrom warmen Wassers aus den Subtropen und den arktischen Kaltluftausbrüchen ergeben. Auf Antarktis-Expeditionen an Bord des Forschungseisbrechers Polarstern erleben wir die stürmische See der „Furious Fifties“ und „Screaming Sixties“ und die majestätische Stille des eisbedeckten Ozeans und der darin dahingleitenden Tafeleisberge in einer der vom Menschen unberührtesten Regionen unseres Planeten.

Wie uns diese Faszination und unsere Neugierde antreiben, erfahren Sie in Auszügen in diesem Heft. Begleiten Sie uns auf Meereismessflügen in der Arktis, bohren Sie mit uns durch das zweitgrößte Schelfeis der Antarktis oder schauen Sie unseren Mathematikern dabei über die Schulter, wie sie neue Methoden für die Klimamodellierung entwickeln. Dabei werden Sie einen Eindruck davon gewinnen, wie vieler Puzzleteile es bedarf, um ein umfassendes Bild von den vielseitigen physikalischen Prozessen des Klimageschehens in den Polarregionen zu erhalten.

Die meisten unserer Geschichten haben eine Gemeinsamkeit: In fast allen Themengebieten arbeiten Forscherinnen und Forscher unterschiedlicher Fachrichtungen in internationalen Projekten zusammen, um die komplexen Zusammenhänge zu verstehen. Dabei bilden verlässliche Langzeitbeobachtungen das Fundament unserer Arbeit. Beispiele hierfür sind die täglichen Temperaturmessungen an unseren Forschungsstationen in der Arktis und Antarktis, die Beobachtungen der Meeresströmungen an unseren Tiefseeverankerungen in der Framstraße und im Weddellmeer, die Daten unserer Meereisbojen, welche durch das Südpolarmeer und das Nordpolarmeer treiben und die vielen Satellitendaten, ohne die moderne Klimaforschung heute nicht mehr vorstellbar wäre.

Vorhersagen stetig verbessern

Ob Ozean, Eis, Atmosphäre oder Land: Wir stellen durch uns Enga­gement sicher, dass verlässliche Messdaten erhoben werden, die absolut kritisch für die Validierung unserer Klimamodelle sind und uns helfen, deren Vorhersagen stetig zu verbessern. Wer wie wir die aktuellen Veränderungen bewerten möchte, muss zudem in die Klimageschichte unseres Planeten schauen. Die Datenreihen dafür reichen für den Ozean bis zu 65 Millionen Jahre zurück, jene für das Inlandeis der Antarktis bis zu 800 000 Jahre. Und dort wo Messdaten fehlen, sorgen ausgefeilte Klimamodelle für eine größere Blickschärfe.

Fest steht: Die Polarregionen verändern sich unter dem Einfluss des Klimawandels. Drastische Anzeichen dafür, wie der Rückgang des Meereises, treten zuerst und im besonderen Maße in der Arktis auf – und teilweise auch schon in der Antarktis. Unser Auftrag lautet deshalb, an diesen Brennpunkten die Spuren und die Geschwindigkeit des Wandels zu dokumentieren, dessen Ursachen zu ergründen und sein mögliches zukünftiges Ausmaß einzuschätzen. Eine Verantwortung, welche wir Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, ganz besonders Rechnung tragen. Denn oberste Leitlinie unserer Arbeit ist das Anliegen, welches die Vereinten Nationen im Kapitel zum Ziel 13 ihrer Nachhaltigkeitsagenda formuliert haben: Den Klimawandel und seine Folgen für alle Menschen dieser Welt zu verstehen und einzudämmen.

Wissen in die Gesellschaft tragen

Nur auf der Basis fundierten Wissens können Politik und Gesellschaft zu Lösungen dieses globalen Problems gelangen. Deshalb gehört es auch zu unseren Aufgaben, unser Wissen in die Gesellschaft zu tragen und mit ihr in einen Dialog zu treten. Auch hier gehen wir neue Wege. Unser Klimabüro für Polargebiete und Meeresspiegelanstieg arbeitet gemeinsam mit der Geschäftsstelle des Helmholtz-Forschungsverbundes Regionale Klimaänderungen (REKLIM) an der Entwicklung innovativer Formate. Zu diesen zählt unser erfolgreiches Web-Angebot meereisportal.de. Aber auch neue Veranstaltungs­formate, die deutschlandweit Aufmerksamkeit erregen und das Thema Klimawandel in das Bewusstsein der Menschen rücken. Bitte fühlen Sie sich eingeladen, mit uns zu diskutieren. Zunächst aber wünschen wir Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.

Prof. Dr. Torsten Kanzow
Vorsitzender des Fachbereichs Klimawissenschaften am Alfred-Wegener-Institut