Warum entwickelt das AWI ein Fahrrad?
Bioniker Paul Bomke über das AWI-Bionic-Bike, dessen Rahmen im 3D-Drucker entstand und 50 Prozent leichter ist als die Konkurrenz
Das ELiSE-Entwicklerteam der AWI-AG Bionischer Leichtbau zog auf der Hannover Messe 2015 mit einem Aluminium-Faltrad alle Blicke auf sich. Dessen Clou: Der Rahmen wiegt weniger als halb so viel wie jene der Konkurrenz, ist aber ebenso belastbar. Im Interview verrät Entwickler Paul Bomke, wie die Gewichtseinsparung gelungen ist.
@awi: Herr Bomke, warum zeigt das AWI auf der Hannover Messe ausgerechnet ein Fahrrad?
Bomke: Weil dieses Exponat für uns zwei entscheidende Vorteile hat. Fahrräder sind zum einen Sympathieträger. Fast jeder Mensch besitzt eines und hat auch eine Vorstellung davon, wie schwer ein solches Faltrad ist. Zum anderen können wir potenziellen Kunden anhand dieses Rades gleich mehrere Strukturoptimierungsverfahren erläutern, die wir auch in anderen Industrieprojekten anwenden. Unser Bionic Bike bringt auf den Punkt, was möglich ist, wenn wir Strukturoptimierungsverfahren aus dem bionischen Leichtbau mit modernen Fertigungsverfahren wie dem „Additive Manufacturing“ in Aluminium, einer Art 3D-Druck, kombinieren - nämlich eine Gewichtsreduktion des Rahmens von 5 auf 2,3 Kilogramm.
@awi: Das heißt, dieses Fahrrad wurde gedruckt?
Ja, der Begriff Additive Manufacturing steht für ein Verfahren, in dem Bauteile aus Metall Schicht für Schicht in einem Laser-Strahlschmelzverfahren entstehen, genauso wie in einem 3D-Drucker.
@awi: Wie viel Bionik steckt in dem Rad?
Wir haben den gesamten Rahmen neu entwickelt und dabei vier bionische Optimierungsverfahren verwendet. Die ersten beiden halfen uns, die Querschnittsgeometrien, die Durchmesser sowie die Positionen und den Verlauf der Rohre zu optimieren. Als im Anschluss bei ersten Tests Belastungsspitzen an der Sattelklemme, über dem Tretlager und an der mittleren Strebe auftraten, halfen uns Kieselalgen- und Radiolarien-Designs, Strukturentwürfe zu entwickeln, mit denen diese Kräfte zu bewältigen waren. Ganz neu war dabei unsere Lösung für den Abschnitt über dem Tretlager. An dieser Stelle haben wir dem Rahmen eine innere Struktur verliehen, die man sich wie ein gitterartiges Knochengerüst vorstellen muss. Ein ganz neuer Optimierungsansatz, der erst mit dem 3D-Herstellungsverfahren möglich geworden ist und welcher bei den Messebesuchern auf sehr großes Interesse gestoßen ist.
@awi: Wie sieht ein solcher Leichtbau-Optimierungsprozess genau aus?
Am Anfang eines jeden Projektes listen wir alle Anforderungen an das Bauteil oder Produkt auf. Wie schwer darf es sein? Aus welchem Material? Welchen Belastungen muss es standhalten? Im Anschluss suchen wir in der Kieselalgen-Datenbank der Hustedt-Sammlung nach möglichen Strukturvorbildern. Kieselalgen bilden ja eine Hülle, welche sie vor Feinden schützen soll, die aber auch sehr leicht sein muss. Wir untersuchen die Funktionsprinzipien dieser Hülle und übertragen passende Details auf unser Bauteil. Es reicht jedoch nicht, die Funktionsprinzipien einfach zu kopieren – sie müssen dem Bauteil entsprechend angepasst werden. Dazu modellieren wir die Strukturdetails im Computer, geben die Anforderungen an das Bauteil hinzu und setzen eine digitale Evolution in Gang. Das heißt, der Rechner simuliert das Entstehen vieler neuer Kieselalgen-Generationen, die sich Schritt für Schritt an die Belastungen im Bauteil anpassen. Unser Bionic Bike zeigt, wie gut dieses Verfahren funktioniert.
Paul Bomke