Der seitliche Einstrom kohlenstoffreicher Partikel aus der Barents- und Karasee könnte jährlich bis zu 3,6 Millionen Tonnen CO2 in der arktischen Tiefsee für Jahrtausende binden. Ein bisher unbekannter Transportweg entzieht allein in dieser Region über die biologische Kohlenstoffpumpe und Meeresströmungen der Atmosphäre CO2 in der Größenordnung der Jahresemissionen von Island, wie Forschende vom Alfred-Wegener-Institut und Partnerinstituten in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Geoscience berichten.
Die biologische Produktivität des zentralen Arktischen Ozeans ist im Vergleich zu anderen Ozeanen begrenzt, weil Sonnenlicht durch Polarnacht und Meereisbedeckung oft fehlt und das Nährstoffangebot begrenzt ist. Somit steht den Kleinstalgen (Phytoplankton) in den oberen Wasserschichten weniger Energie zur Verfügung als dies in anderen Weltmeeren der Fall ist. Daher war die Überraschung groß, als Forschende während der Expedition ARCTIC2018 im August und September 2018 mit dem russischen Forschungsschiff Akademik Tryoshnikov große Mengen partikulären – also in Pflanzenresten gebundenen - Kohlenstoffs im Nansenbecken in der zentralen Arktis entdeckten. Genauere Messungen zeigten einen Wasserkörper mit großen Mengen partikulären Kohlenstoffs in bis zu zwei Kilometern Tiefe, der aus Bodenwasser aus der Barentssee bestand. Letzteres entsteht, wenn sich im Winter Meereis bildet, das kalte, schwere Wasser absinkt und schließlich vom flachen Schelf an der Küste den Kontinentalhang hinab in das tiefe arktische Becken fließt.
„Mit unseren Messungen konnten wir berechnen, dass durch diesen Wassermassentransport mehr als 2000 Tonnen Kohlenstoff pro Tag in die arktische Tiefsee strömen, was 8500 Tonnen atmosphärischem CO2 entspricht. Hochgerechnet auf ein Jahr liegt das mit 3,6 Millionen Tonnen CO2 in der Größenordnung der Jahresemissionen von Island“, erläutert Dr. Andreas Rogge, Erstautor der Nature Geoscience-Studie und Meeresforscher am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Die Fahne mit dem kohlenstoffreichen Wasser reicht vom Schelf der Barents- und Karasee bis zu etwa 1000 Kilometer weit in das arktische Tiefseebecken. Über diesen neu beschriebenen Mechanismus wird durch die Barentssee, die ohnehin das produktivste arktische Randmeer ist, etwa 30 Prozent mehr Kohlenstoff als bisher angenommen effektiv aus der Atmosphäre entfernt. Modellrechnungen zeigten außerdem, dass der Ausstrom dabei in saisonalen Pulsen erfolgt, da auch die Aufnahme von CO2 durch Phytoplankton in den arktischen Küstenmeeren ausschließlich im Sommer erfolgt.
Das Verständnis von Transport- und Umwandlungsprozessen innerhalb des Kohlenstoffkreislaufs ist essentiell um globale Kohlendioxidbudgets zu erfassen und somit auch Prognosen zur Erderwärmung zu erstellen. An der Meeresoberfläche nehmen einzellige Algen CO2 aus der Atmosphäre auf und sinken nach ihrem Ableben in die Tiefsee. Erreicht der so gebundene Kohlenstoff das Tiefenwasser, wird er erst wieder frei, wenn das Wasser durch Umwälzströmungen wieder an die Meeresoberfläche gelangt, was in der Arktis mehreren Tausend Jahren entspricht. Sogar Millionen von Jahren kann es hingegen dauern, wenn der Kohlenstoff im Tiefseesediment abgelagert wird, da er dann erst durch Vulkanismus wieder freigesetzt wird. Dieser auch als biologische Kohlenstoffpumpe bezeichnete Prozess kann somit Kohlenstoff für einen sehr langen Zeitraum aus der Atmosphäre entfernen und stellt eine wichtige Senke im Kohlenstoffkreislauf unseres Planeten dar. Außerdem gelangt über diesen Weg Nahrung in die Tiefsee, von der sich die dortigen Tiere wie Seesterne, Schwämme und Würmer ernähren. Welche Anteile des Kohlenstoffs aber tatsächlich vom Ökosystem aufgenommen werden, bedarf noch weiterer Forschung.
Es gibt in den polaren Schelfmeeren noch weitere wenig erforschte Gebiete, in denen Bodenwasser gebildet wird und in die Tiefsee strömt. So ist davon auszugehen, dass der globale Einfluss dieses Mechanismus‘ als Kohlenstoffsenke noch wesentlich größer ist. „Die zunehmende Erderwärmung trägt allerdings dazu bei, dass weniger Eis und somit weniger Bodenwasser gebildet wird, aber auch, dass mehr Licht und Nährstoffe für das Phytoplankton verfügbar sind, sodass mehr CO2 gebunden wird. Somit ist die zukünftige Entwicklung dieser Kohlenstoffsenke momentan nicht abschätzbar und die Identifikation eventueller Kipppunkte erfordert dringend weitere Forschung“, sagt Andreas Rogge.
Originalpublikation
Andreas Rogge, Markus Janout, Nadezhda Loginova, Emilia Trudnowska, Cora Hörstmann, Claudia Wekerle, Laurent Oziel, Vibe Schourup-Kristensen, Eugenio Ruiz-Castillo, Kirstin Schulz, Vasily V. Povazhnyy, Morten H. Iversen, Anya M. Waite: Carbon dioxide sink in the Arctic Ocean from cross-shelf transport of dense Barents Sea water, Nature Geoscience (2022). DOI: 10.1038/s41561-022-01069-z