Innovative und gesellschaftlich akzeptierte Ansätze entwickeln, um das natürliche Potenzial für Kohlenstoffspeicherung in vegetationsreichen Küstenökosystemen zu verbessern: So lautet das Ziel des neuen Forschungsverbunds sea4soCiety, den das Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen koordiniert. Der Verbund besteht aus 40 Wissenschaftler:innen aus neun norddeutschen Universitäten und Forschungsinstituten, darunter auch das Alfred-Wegener-Institut. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert den Verbund im Rahmen der ersten Forschungsmission „Marine Kohlenstoffspeicher als Weg zur Dekarbonisierung“ – kurz: CDRmare – der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM) mit 5,3 Mio Euro.
Als einer von insgesamt sechs Forschungsverbünden der Mission „Marine Kohlenstoffspeicher als Weg zur Dekarbonisierung“ wird sea4soCiety im Laufe der dreijährigen Förderphase die Speicherkapazität für „blauen Kohlenstoff“ in vier verschiedenen Arten von Küstenökosystemen an den deutschen Nord- und Ostseeküsten, in der Karibik und der Indonesischen See quantifizieren und analysieren. Martin Zimmer, Leiter der Abteilung Ökologie am ZMT und Professor für Mangrovenökologie an der Universität Bremen, ist für die Koordination des Forschungsvorhabens verantwortlich.
Vegetationsreiche Küstenökosysteme tropischer und gemäßigter Breiten, wie Mangrovenwälder, Seegraswiesen, Salzmarschen oder Tangwälder, nehmen riesige Mengen an Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre auf. Allein die Mangrovenwälder in tropischen Regionen binden jährlich 40 bis 60 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Das ist ungefähr so viel, wie der Straßenverkehr in Deutschland als Treibhausgase im Jahr ausstößt. Die Salzmarschen des Wattenmeers an der deutschen Nordseeküste lagern jährlich etwa 20.000 Tonnen Kohlenstoff ein. Die Speicherung dieses sogenannten „blauen Kohlenstoffs“ ist eine der wichtigsten Leistungen von Küstenökosystemen.
In den vergangenen Jahrzehnten haben Urbanisierung, Erosion oder Umweltverschmutzung viele Ökosysteme in Küstenregionen weltweit in ihren Eigenschaften, Prozessen und Leistungen zunehmend geschädigt. Folglich sank auch die globale Kapazität, den Ausstoß von CO2 durch die Speicherung von „blauem Kohlenstoff“ in Küstenökosystemen zu kompensieren. Die Forschenden werden naturwissenschaftliche Expertise in Küstenökologie, Chemie, Geologie, Hydrodynamik, Fernerkundung und Modellierung einbringen, um die Speicherkapazität für „blauen Kohlenstoff“ in Seegraswiesen, Algenbeständen, Salzmarschen und Mangroven zu quantifizieren und mit den Depots organischen Materials in unbewachsenen marinen Sedimenten zu vergleichen.
Herkunft, Stabilität und Dynamik der Speicher organischen Materials werden vor Ort und in den Laboren der Verbundpartner analysiert. Satellitendaten und Schiffsmessungen dienen dazu, die Biomasse an Land und unter Wasser in den Küstenzonen zu ermitteln. Kommunikation mit der lokalen Bevölkerung, Modelle und Szenarien ermöglichen eine Evaluierung der möglichen Nutzen und Risiken, die eine Flächenvergrößerung der Küstenökosysteme über ihre derzeitigen Bestände hinaus mit sich bringen könnte.
Sozio-ökologische Komponente des Verbundvorhabens
Geeignete Maßnahmen sollen ökologisch umsetzbar, umweltverträglich sowie rechtlich und ethisch unbedenklich gestaltet sein, so der Anspruch der Forschenden. Damit die Ansätze zur Verbesserung der Kohlenstoffspeicherung in Küstenökosystemen gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen, zusätzlichen Nutzen schaffen und auf breiter Akzeptanz beruhen, arbeiten Naturwissenschaftler:innen mit Forschenden aus den Bereichen Humangeografie, Sozioökonomie, Ethik und Rechtswissenschaften im Verbund interdisziplinär eng zusammen. Auf Basis der Ergebnisse sozio-ökologischer Studien sollen eine Roadmap für die nachhaltige Nutzung mariner Kohlenstoffspeicher erstellt sowie evidenz- und szenarienbasierte Empfehlungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft entwickelt werden. Ausgehend von der lokalen Feldforschung werden diese Vorschläge auf Ebenen von nationaler, internationaler und globaler Relevanz hochskaliert.
„Indem wir die Kapazität der Küstenökosysteme zur Bindung von Treibhausgasen erhöhen und zusätzliche Ökosystemleistungen sichern, trägt der Forschungsverbund sea4soCiety dazu bei, die Ziele des Pariser Klimaabkommens, der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) und der Agenda 2030 der Vereinten Nationen zu erreichen“, fasst Martin Zimmer zusammen.
Zur Original-Pressemitteilung des Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) hier klicken.