In einer sich rasch verändernden Welt müssen wir wissen, welche Gebiete unseres Planeten vor bestehenden, sich entwickelnden und künftigen Bedrohungen geschützt werden müssen. Diesem Anspruch gerecht zu werden, ist in den Weiten der Ozeane schwer zu realisieren, insbesondere in deren entlegensten Bereich, dem Südlichen Ozean. Eine Veröffentlichung, die diese Woche in der Zeitschrift Nature (zusammen mit einem begleitenden Datenpapier in der Zeitschrift Scientific Data) erscheint, beschreibt einen neuartigen Lösungsansatz für dieses Problem. An der Veröffentlichung, die Daten aus vielen einzelnen Forschungsprojekten zur Satellitenfernerkundung (Tracking) und Geolokation von Vögeln und Meeressäugern verwendet, waren auch Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI) beteiligt.
Die neuartige Lösung beruht auf einem einfachen Prinzip: Tiere zieht es dorthin, wo sie Nahrung finden. Wenn man also die Gebiete des Südlichen Ozeans identifiziert, in denen sich Meeressäuger und Vögel am häufigsten aufhalten, weiß man auch, wo deren Beutetiere zu finden sind. Buckelwale und Pinguine zum Beispiel suchen Gebiete auf, in denen sie sich von Krill ernähren können, während See-Elefanten und Albatrosse sich dort aufhalten, wo sie Fische, Tintenfische und andere Beutetiere antreffen. Besonders hohe Aufkommen an Meeressäugern, Vögeln und ihren Beutetieren am selben Ort lassen auf eine gleichermaßen hohe Diversität und Häufigkeit aller dort vorkommenden Arten schließen und zeigen so eine hohe ökologische Bedeutung des betreffenden Gebietes an.
Das Projekt wurde vom Wissenschaftlichen Ausschuss für Antarktisforschung (SCAR) mit Unterstützung des Centre de Synthèse et d'Analyse sur la Biodiversité, Frankreich, und des WWF-UK durchgeführt.
SCAR schaltete sein weitreichendes Netzwerk von Antarktisforschenden für die Synthese vorhandener Trackingdaten der Meeressäuger und -vögel des Südlichen Ozeans ein. Nach sorgfältiger Validierung entstand daraus eine Datenbank mit über 4.000 einzelnen Tracks von 17 Arten, die von mehr als 70 Wissenschaftlern aus 12 nationalen Antarktisprogrammen gesammelt wurden, darunter auch vier AWI-Forschende. Diese Datenbank steht nun zum öffentlichen Download zur Verfügung.
AWI Mitautor Horst Bornemann hat die Arbeiten zur Akquise und Interpretation der Daten über beinahe ein Jahrzehnt als Mitglied eines internationalen 12-köpfigen Teams begleitet. „Anfangs erfolgte die Bereitstellung der Daten noch mit Zurückhaltung. Das änderte sich, als klar wurde, wie umfassend die Abdeckung des Südozeans durch die Daten sein würde. Es ist auch eine Sternstunde für SCAR im Sinne internationaler Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg.“
Doch selbst diese beeindruckende Datenbank repräsentiert noch nicht die vollständige Dynamik der Säuger und Vögel im Südlichen Ozean, da es schlicht unmöglich ist, alle betreffenden Arten von all ihren Hauptvorkommensgebieten aus zu untersuchen. Eine einfache Kartierung würde daher eine verzerrte Darstellung der Tierverteilung liefern. Um dies zu vermeiden, wurden ausgefeilte statistische Modelle verwendet, die die Bewegungen der Tiere auf See von allen bekannten Kolonien jeder Art über den gesamten Südlichen Ozean vorhersagen können. Diese Vorhersagen wurden für alle 17 Meeressäuger und Vogelarten kombiniert. Auf diese Weise entstand eine Karte der Gebiete, die von vielen verschiedenen Räubern mit ihren unterschiedlichen Beuteanforderungen genutzt werden.
Die wichtigsten dieser Gebiete, also Gebiete von besonderer ökologischer Bedeutung, verteilen sich fleckenhaft um den antarktischen Festlandsockel herum und über zwei ausgedehntere, küstenferne ozeanische Regionen. Davon umschließt eine von der Antarktischen Halbinsel ausgehend den Scotia-Bogen, während die andere die subantarktischen Inseln im indischen Sektor des Südlichen Ozeans umgibt.
AWI-Meeresbiologe und Leiter eines SCAR Biologie-Programmes Julian Gutt unterstreicht die Bedeutung der Veröffentlichung: „Die Analysen zeigen uns, wie ein wesentlicher Teil des Ökosystems des Südlichen Ozeans funktioniert und welche anwendungsbezogenen Konsequenzen sich gerade in Zeiten des Klimawandels daraus ergeben. Um den Schutz der marinen Biodiversität weiter zu verbessern, könnten solche Studien mit einer an andere marine Tier- und Pflanzenarten angepassten Methodik auch z.B. auf Lebensgemeinschaften am Meeresboden ausgedehnt werden.“
Meeresschutzgebiete (Marine Protected Areas, MPAs) sind ein entscheidendes Werkzeug im Instrumentarium des Erhaltungsmanagements. Bestehende und vorgeschlagene MPAs befinden sich üblicherweise in Gebieten von ökologischer Bedeutung, was darauf hindeutet, dass sie derzeit an den richtigen Stellen verortet sind. Wenn man jedoch mithilfe von Klimamodellprojektionen berücksichtigt, wie sich solche Gebiete bis 2100 verschieben könnten, sind die bestehenden MPAs mit ihren festen Grenzziehungen möglicherweise nicht auf die Zukunft ausgerichtet. Ein dynamisches MPA-Management, das kontinuierlich als Reaktion auf laufende Veränderungen aktualisiert wird, ist daher erforderlich, um der heutigen und künftigen Generationen einen anhaltenden Schutz der Ökosysteme des Südlichen Ozeans und ihrer Ressourcen zu gewährleisten.
Die Studie ist ein Beitrag zum Forschungsprogramm Polarregionen und Küsten in einem sich verändernden Erdsystem (PACES) Topic 1: Changes and regional feedbacks in Arctic and Antarctic, Workpackage 1.6 Large scale variability and change in polar benthic biota and ecosystem functions. PACES ist Teil des Forschungsbereichs Erde und Umwelt der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF)
Originalpublikation
Die Studie wurde unter folgendem Titel im Fachjournal NATURE veröffentlicht:
Mark A. Hindell et al: Tracking of marine predators to protect Southern Ocean ecosystems