Bremerhaven/Hamburg, 19. September 2013. Das jährliche Minimum der Meereisfläche im arktischen Ozean im September beträgt in diesem Jahr im Mittel etwa 5,1 Millionen Quadratkilometer und liegt damit rund 50 Prozent über dem bisherigen Negativrekord von 3,4 Millionen Quadratkilometer aus dem Jahr 2012. „Dieser Wert bedeutet allerdings keine Trendwende“, lautet die gemeinsame Einschätzung der Meereisphysiker Marcel Nicolaus vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Lars Kaleschke von der Universität Hamburg, KlimaCampus.
Die beobachtete Eisbedeckung reihe sich viel mehr in die geringen Werte der letzten Jahre ein und bestätige die langfristige Abnahme der arktischen Meereisdecke. „In diesem Jahr war nicht mit einem neuen Negativ-Rekord der Meereisfläche zu rechnen, denn die Statistik zeigt, dass auf ein Rekordjahr stets eine kurzfristige Erholung folgt. Daher können Trends nur durch die Betrachtung langer Zeiträume richtig erfasst werden“, sagt Lars Kaleschke. Mit dem Einsetzen des Gefrierens in der zweiten Hälfte des Monats September wird die eisbedeckte Fläche wieder zunehmen und ihre maximale Ausdehnung zum Winterende im März des kommenden Jahres erreichen.
Die Änderungen der sommerlichen Eisbedeckung von Jahr zu Jahr resultieren aus einem komplexen Zusammenspiel: „Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Eisbedingungen im Frühjahr, der Verlauf der Schmelzsaison sowie die atmosphärischen Bedingungen im Sommer. So beeinflusst zum Beispiel die vorherrschende Windrichtung maßgeblich, ob die Eisflächen auseinandergetrieben oder zusammengeschoben werden. Und schon ein geringer Eintrag von mehr Wärme in die Arktis reicht aus, um die insgesamt immer dünner werdenden Eisflächen ganz verschwinden zu lassen“, sagt Marcel Nicolaus. Vor diesem Hintergrund rechnen die Wissenschaftler auch in den nächsten Jahren mit großen Schwankungen der sommerlichen Meereisbedeckung in der Arktis.
Besondere Aufmerksamkeit haben in diesem Sommer Schmelztümpel auf dem Meereis hervorgerufen, die in diesem – wie auch in den vergangenen Jahren – wieder vermehrt auftraten. So machte zum Beispiel das Foto von großen Schmelztümpeln in der Nähe des Nordpols weltweit Schlagzeilen. Schmelztümpel entstehen, wenn zunächst der Schnee auf dem Meereis und dann das Meereis selbst von oben schmelzen. Kann dieses Schmelzwasser nicht ablaufen, sammelt es sich auf dem Meereis in Tümpeln. Schmelztümpel sind ein normales Phänomen auf arktischem Meereis, allerdings treten sie jetzt immer früher im Jahr und über einen längeren Zeitraum auf (siehe dazu die weiterführenden Links am Ende dieser Pressemeldung). „Dies wirkt sich wesentlich auf das Meereis aus. Weißes Eis verwandelt sich in dunklere Tümpel, die mehr Sonnenlicht absorbieren und das Schmelzen so verstärken“, sagt Marcel Nicolaus.
Eine außergewöhnliche Situation ist auch in diesem Jahr zu vermelden: Die Grenze des kompakten Packeises – als solches werden Flächen mit mehr als 90 Prozent Eisbedeckung bezeichnet – wich nördlich der russischen Inselgruppen Franz-Josef-Land und Sewernaja Semlja bis hinter den 88. Breitengrad zurück – seit Beginn der Satellitenmessungen ein bislang einmaliges Ereignis. Zudem zeigen sich vermehrt große Flächen offenen Wassers zwischen 87 und 88 Grad nördlicher Breite, also nur noch rund 220 Kilometer vom Nordpol entfernt. In den 1990er Jahren lag die sommerliche Packeisgrenze noch bei etwa 80 bis 82 Grad nördlicher Breite. „Diese Phänomene belegen, dass sich die arktische Eisdecke grundlegend gewandelt hat: Dort wo einst dickes mehrjähriges Packeis vorherrschte, findet sich nun vorwiegend saisonales Eis“, so Lars Kaleschke.
Aktuelle Entwicklungen des Meereises in der Arktis und der Antarktis können Interessierte und Wissenschaftler auch über das Daten- und Informationsportal www.meereisportal.de verfolgen. Auf dieser Online-Plattform veröffentlichen Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes und der Universität Bremen aktuelle Karten der Meereisbedeckung in beiden Polarregionen sowie Beiträge zur Meereissituation. Zudem berichten sie in deutscher Sprache über neue Forschungsergebnisse und zeigen beeindruckende Aufnahmen von Expeditionen in die Polarregionen.
Informationen für Redaktionen
Ihre wissenschaftlichen Ansprechpartner am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, sowie an der Universität Hamburg sind:
- Dr. Marcel Nicolaus, Alfred-Wegener-Institut (Tel.: 0471-4831-2905, E-Mail: Marcel.Nicolaus(at)awi.de) – Für Interviewwünsche am Donnerstag, den 19. September 2013, kontaktieren Sie bitte zunächst Sina Löschke in der AWI-Pressestelle (Tel.: 0471-4831-2008, E-Mail: medien(at)awi.de)
- Prof. Lars Kaleschke, Universität Hamburg, KlimaCampus (Tel.: 040-42838-6518, E-Mail: lars.kaleschke(at)zmaw.de)
Ihre Ansprechpartner in den Pressestellen sind:
- Alfred-Wegener-Institut: Sina Löschke, (Tel.: 0471-4831-2008, E-Mail: medien(at)awi.de)
- Universität Hamburg, KlimaCampus: Stephanie Janssen, (Tel.: 040- 42838-7596, E-Mail: stephanie.janssen(at)zmaw.de) und Ute Kreis, (Tel.: 040- 42838-4523, E-Mail: ute.kreis(at)zmaw.de)
Weiterführende Links:
- Pressemitteilung des Alfred-Wegener-Institutes zu Schmelztümpeln auf arktischem Meereis
- Schmelztümpelbedeckung aus Satellitendaten (Universität Hamburg)
- Animation der Entwicklung der Packeisgrenze (Universität Hamburg)
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Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.