Ein weißer Fleck in der antarktischen Biodiversitäts und Ökosystemforschung
Die Antarktische Halbinsel und die Westantarktis zeigen aufgrund lokaler Erwärmung deutliche Veränderungen. Gletscher fließen schneller ab und ganze Schelfeisgebiete wie beispielsweise das Larsen-Schelfeis kollabieren. Eine interessante Konsequenz: Es werden Gebiete für Wissenschaftler zugänglich, die bisher mit mehrere hundert Meter dickem Schelfeis bedeckt waren.
Ein bisher unerforschter Ort
Durch den Abbruch des Larsen-B-Schelfeises entlang der Antarktischen Halbinsel ist eine Fläche von 3250 Quadratkilometern zugänglich geworden. Bisher ist dies ein weißer Fleck auf den Karten der Antarktis. Wissenschaftler werden von Polarstern, dem Flaggschiff des Alfred-Wegener-Instituts, dort die ersten biologischen Untersuchungen vornehmen. Sämtliche Lebensgemeinschaften, von Mikroorganismen bis hin zu Walen, sind im Interesse der Forscher.
Im Vorfeld des Internationalen Polarjahrs
47 Wissenschaftler aus 12 Ländern sind an Bord von Polarstern. Von Ende November 2006 bis Januar 2007 bilden sie ein internationales Team, ihre Forschungsprogramme fügen sich zu einem Puzzle zusammen. Der Fokus des wissenschaftlichen Programms liegt auf den biologischen Besonderheiten dieses unbeschriebenen Gebietes. Zu den wichtigsten Beitragenden zählt Census of Antarctic Marine Life (CAML). Das Projekt hat zum Ziel, sämtliche Lebewesen in der Antarktis zu erfassen.
Kooperation zur Öffentlichkeitsarbeit
Das Alfred-Wegener-Institut kooperiert auf dieser Polarstenexpedition mit verschiedenen Einrichtungen, um die Themen der Polarforschung an die breite Öffentlichkeit zu tragen. Dazu gehören:
Census of Marine Life (CoML)
„Census of Marine Life“ ist ein wachsendes Netzwerk von Wissenschaftlern aus über 70 Nationen. Sie haben sich innerhalb einer zehnjährigen Initiative dazu verpflichtet, Diversität, Verteilung und Vorkommen von Lebewesen in den Weltmeeren zu erfassen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Lebewesen in den verschiedenen Lebensräumen sind dabei von Interesse. www.coml.org
Census of Antarctic marine life (CAML)
„Census of Antarctic Marine Life“ ist Teil des globalen Zensus (CoML). Er untersucht Verteilung und Vorkommen der reichen antarktischen Flora und Fauna. Damit soll ein Richtwert geschaffen werden, der als Referenz für künftige Untersuchungen in Hinblick auf den Klimawandel dienen soll. Als eines der Hauptprojekte des Internationalen Polarjahres, wird „Census of Antarctic Marine Life“ das größte meereswissenschaftliche Programm im Bereich Antarktis sein. Es wird alle Regionen, Biosphären und Habitate umfassen. www.caml.aq
The Cousteau Society (TCS)
Die Cousteau Gesellschaft ist eine internationale Organisation die 1973 von Jacques-Yves Cousteau gegründet wurde. Unter anderem beschäftigt sie sich mit dem Gleichgewicht zwischen Menschheit und Natur innerhalb der Ozeane. Die Gesellschaft hat eine 30-jährige Erfahrung in der Dokumentation und Vermittlung des Wertes natürlicher Rohstoffe, auch in den Polargebieten. Die Gesellschaft hat sich selbst die Aufgabe gesetzt, die Antarktis als natürliches Reservat und als Land von Wissenschaft und Frieden zu bewahren. www.cousteau.org
International Polar Foundation (IPF)
IPF vermittelt die Polarwissenschaften als einen Weg zum Verständnis der Schlüsselmechanismen in Umwelt- und Klimaprozessen. Die Stiftung nutzt das Internationale Polarjahr als ein wirksames Werkzeug zur Vermittlung ihrer Botschaft auf der großen Bühne. Neben der Aufgabe der internationalen Vermarktung des Internationalen Polarjahres, wird ein begleitender Wissenschaftler der Stiftung die Expeditionen nachbearbeiten und insbesondere Jugendlichen zugänglich machen. Dies geschieht auf den Seiten: www.polarfoundation.org und www.educapoles.org.
Polar Embassy
Polar Embassy ist ein offizielles Projekt des Internationalen Polarjahres zur Öffentlichkeitsarbeit, das wissenschaftliches Know-how mit der Öffentlichkeit verbinden soll. Es konzentriert sich dabei auf die Themen: Nachhaltige Entwicklung und Klimawandel, sowie deren Verbindungen „Von Lokal zu Polar.“ Die Polar Embassy hat hierfür Aktionen entwickelt, die es einigen Teilnehmern ermöglichen wird, auf besonderen Expeditionen, zum Beispiel an Bord eines Eisbrechers teilzunehmen. Diese Mitglieder werden daraufhin als „Polarbotschafter“ mit der Aufgabe betreut, die Botschaft des Polarjahres und seine Bedeutung für unseren Planeten zu verbreiten.
Zeitplan
23. November 2006: Abfahrt von Kapstadt, Südafrika in Richtung Weddellmeer (1).
4./5. Dezember 2006: Polarstern versorgt die deutsche Neumayer-Station mit Lebensmitteln und Treibstoff (2).
Ca.14. Dezember 2006: Erreichen des Untersuchungsgebietes an der westlichen Seite der antarktischen Halbinsel, rund um die South Shetland Islands (3).
Bis 26. Januar 2007: Ökologische Arbeiten im ehemaligen Larsen- A/B-Schelfeisgebiet. Sollte das Gebiet wegen der Meereeisbedeckung nicht erreichbar sein, wird ein ähnliches Programm rund um Joinville Island durchgeführt (4).
30. Januar 2007 Ende der Expedition und Ankunft in Punta Arenas, Chile (5).
Wissenschaftliches Programm
25 verschiedene Forschungsprojekte werden von 47 Wissenschaftlern durchgeführt. Sie umfassen die Bereiche Benthlogie, Planktologie, Taxonomie, Physiologie, Biogeochemie, Genetik und Bathymetrie.
Fischereimanagement
Der erste Teil der Expedition widmet sich den Fischbeständen der Antarktis und knüpft an ein Dutzend ähnlicher Begutachtungen seit 1976 an. Das Projekt trägt zur Konvention zum Schutz der lebenden Meeresschätze der Antarktis bei (Convention on the Conservation of Antarctic Marine Living Resources -CCAMLR, www.ccamlr.org). Wissenschaftler kontrollieren kürzlich befischte Gebiete im Bereich der Antarktischen Halbinsel und erfassen den Erholungsstatus der Bestände.
Globale Erwärmung und das Kollabieren von Schelfeis
Wenn antarktische Gletscher die Küste des Kontinents erreichen, schwimmen sie auf und werden zu Schelfeis. Durch Kalben lösen sich große Stücke, die als Eisberge wegtreiben. Seit 1974 hat sich eine Fläche von rund 13.500 Quadratkilometer von den Schelfeisen der Antarktischen Halbinsel abgelöst. Ein Phänomen, das auf eine lokale Erwärmung um zwei Grad Celsius innerhalb der letzten 50 Jahre zurückgeht. Viele Wissenschaftler sind beunruhigt, dass ähnliche Abbrüche auch in anderen Gebieten auftreten könnten, den Eisabfluss beschleunigen und somit den Anstieg des Meeresspiegels weiter vorantreiben könnten. Der Abbruch der Larsen-B-Platform im Februar 2002 ist das letzte und bisher größte dieser Ereignisse. Vermutlich durch Veränderungen in den Meeresströmungen hat die lokale Erwärmung zusätzlich ein 3250 Quadratkilometer Meeresoberfläche von seiner Eisbedeckung befreit, die dort seit mindestens 5000 Jahren vorhanden war.
Evolution der Bodenfauna
Sobald das Eis abgebrochen und abtransportiert ist, wandern pflanzliche und tierische Planktonorganismen in das neue gewonnene Gebiet und gedeihen dort. Wissenschaftlern bietet dies die Möglichkeit, den Prozess der Wiederbesiedlung und die Entwicklung der Lebensgemeinschaften am Meeresboden, die von Plankton abhängen, zu beobachten. Mit verschieden Netzen, Greifern und Fallen werden Proben genommen. Die verschiedenen Techniken sowie ein ferngesteuertes Unterwasserfahrzeug mit Videokamera werden die Beschreibung neuer Arten aus dieser unberührten Umwelt ermöglichen. Die wissenschaftlichen Studien befassen sich mit Mikroorganismen, Schwämmen, Krebsen, Tintenfische, Seesternen und Walen. Die Organismen und ihre Lebensräumen von der Schelfeiskante bis ins offene Meer werden ein Maßstab für frühe Besiedlung sein. Diese Untersuchungen können zur Bewertung von Veränderungen der Biodiversität von antarktischen Lebensgemeinschaften dienen. Sie können dann zum Vergleich für andere Gebiete der Antarktis herangezogen werden, wo der Abbruch von Schelfeis bereits erwartet wird.
"Cold seeps"
Die Expedition dient auch dazu, die ersten Untersuchungen an Lebensgemeinschaften an so genannten "cold seeps" durchzuführen. Das sind Stellen am Meeresboden, an denen Methan und andere gelöste Gase austreten. 2005 wurde die erste ihrer Art in der Antarktis von einem amerikanischen Geowissenschaftler-Team entdeckt. In dieser acht Quadratkilometer großen Zone treten gelöste Gase und Schlamm aus, die die Grundlage für Bakteriengemeinschaften bieten. Große Ansammlungen von Muscheln sind dort zu finden. Diese Weichtiere und ihre assoziierte Fauna leben wahrscheinlich von chemischer Energie aus dem Erdinneren im Gegensatz zu Lebewesen die von Photosynthese oder heißen Quellen leben.
Bremerhaven, den 24. November 2006
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