Kleine Aerosolpartikel in 740.000 Jahre altem Eiskern geben Aufschluss über große Klimaänderungen
In allen Kaltzeiten der letzten 740.000 Jahre war die Meereisbedeckung rund um die Antarktis sehr viel größer als in Warmzeiten. Gleichzeitig war der Süden Südamerikas deutlich trockener und windiger als heute, was zu einem stark erhöhten Staubeintrag in die Antarktis führte. Dies ergibt die diese Woche im Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlichte Untersuchung von Aerosolpartikeln in einem drei Kilometer langen Eiskern durch ein europäisches Wissenschaftler-Team unter Beteiligung des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung.
Änderung der antarktischen Meereisbedeckung
Der bereits im Dezember 2004 während des EPICA (European Project for Ice Coring in Antarctica) Projektes in der Ostantarktis gewonnene Eiskern von Dome C (75° 06’S, 123° 21’O) überdeckt mehr als acht aufeinander folgende Wechsel von Eis- und Warmzeiten (glaziale Zyklen). Der Kern ist somit das längste kontinuierliche Eiskernarchiv, das jemals gewonnen wurde. Für ihre Studien bestimmten die Wissenschaftler die Konzentrationen kleinster Aerosolpartikel im Eis, die weit entfernt an der Ozeanoberfläche oder auf den Kontinenten produziert und mit dem Wind in die Antarktis transportiert wurden. So weist die Konzentration von Seesalzaerosolen, welche beim Gefrieren von Meerwasser gebildet werden, auf eine großräumige Ausdehnung der Meereisbedeckung rund um die Antarktis in allen Kaltzeiten hin.
Keine Erhöhung der biologischen Aktivität
Erhöhte Konzentrationen kleiner Mineralstaubteilchen in den Kaltzeiten deuten auf ein trockeneres Klima in den angrenzenden Kontinenten, insbesondere Südamerika. Der mit dem Wind in den Südozean transportierte Staub stellt auch vermehrt Nährstoffe für das Plankton im Ozean zur Verfügung. Analysen von Sulfataerosol im Eiskern, das bei Algenblüten produziert wird, weisen allerdings nicht auf eine erhöhte biologische Produktion im Südozean hin. „Unsere Ergebnisse lassen das bisherige Verständnis, wie die Biologie im Südozean auf Klimawechsel reagiert haben könnte, in einem neuen Licht erscheinen. Zumindest für den südlichen Teil des Südozeans müssen wir Vorstellungen über eine Erhöhung der biologischen Produktivität in Eiszeiten neu überdenken“, meint Hubertus Fischer, Leiter der chemischen Untersuchungen am Alfred-Wegener-Institut.
Aus der Vergangenheit auf die Zukunft schließen
Nach der Analyse der Temperaturänderungen im Verlauf der letzten acht Klimazyklen wurde jetzt mit der Untersuchung gelöster chemischer Bestandteile im Eiskern ein weiterer wichtiger Schritt zur Beurteilung der historischen Klimaveränderungen gemacht. Diese Daten sind essentiell für das Verständnis der zukünftigen Klimaentwicklung. „Unsere Forschungsergebnisse zeigen jedes Mal eine ähnliche Abfolge der gleichen Änderungsprozesse, wenn im Verlauf der letzten 740.000 Jahre warme Klimabedingungen mit kalten abwechselten“, erklärt Eric Wolff vom British Antarctic Survey, Erstautor der jetzt veröffentlichten Studie. „Wir schließen daraus, dass die Erde im Verlauf von Klimaänderungen Regeln folgt. Wenn wir diese Regeln verstehen, können wir Klimamodelle und somit auch Prognosen für die Zukunft verbessern.“
EPICA Projekt
Das Projekt EPICA wird von einem Konsortium aus zehn europäischen Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Niederlande, Norwegen, Schweden, Schweiz) durchgeführt. EPICA wird von der European Science Foundation (ESF) koordiniert und durch die beteiligten Länder und die Europäische Union finanziert. Ziel von EPICA war es, im Inlandeis der Antarktis zwei Eiskerne zu erbohren, die bis zum Felsuntergrund reichen. Das Team auf Dome C arbeitete bei Temperaturen bis zu minus 40 °C bis die Bohrung im Dezember 2004 abgeschlossen wurde. Von den 3260 Meter Eiskern wurden bisher nur die oberen 3000 Meter analysiert. Die Glaziologen schätzen, dass in dem noch älteren Eis die ungestörte Klimageschichte bis zu einem Alter von ungefähr 900.000 Jahren gespeichert ist.
Neben der Bohrung an Dome C wurde auch an der Kohnen-Station im Dronning Maud Land (75°00'S, 00°04'O) eine EPICA Bohrung niedergebracht, für die das Alfred-Wegener-Institut die Verantwortung trägt. Diese Bohrung wurde in der vergangenen Feldsaison 2005/06 erfolgreich abgeschlossen. Die chemischen und physikalischen Untersuchungen an dem gewonnen Eiskern sind in vollem Gange. EPICA ist eines der Kernprojekte im Rahmen des Forschungskonzeptes „Meeres-, Küsten- und Polarsysteme“ im Forschungsbereich „Erde und Umwelt“ der Helmholtz-Gemeinschaft.
Referenz: E. W. Wolff et al., Southern Ocean sea-ice extent, productivity and iron flux over the past eight glacial cycles, Nature 440, 491 (2006).
Bremerhaven, den 23. März 2006
Ansprechpartner ist Dr. Hubertus Fischer (Tel.: +49 (0)471-4831 1174; E-Mail: hufischer@awi-bremerhaven.de)