05. Mai 2011
Pressemitteilung

100. Jahrestag vom Start der Filchner-Expedition in die Antarktis – Bedeutende Entdeckungen im bevorzugten Gebiet der modernen deutschen Polarforschung

Bremerhaven, den 5. Mai 2011. Am 6. Mai 1911 lief die Bark „Deutschland" von Bremerhaven zur zweiten deutschen Antarktisexpedition aus. Ziel war der Weddellmeer-Sektor der Antarktis. Die Expedition unter der Leitung des Asienforschers Wilhelm Filchner (1877-1957) drang bis 78° Süd vor und stieß hier auf eine Schelfeisbarriere – das Filchner-Ronne-Schelfeis. Im Packeis eingefroren driftete die „Deutschland“ über Winter neun Monate durch das Weddellmeer. Die Wissenschaftler gewannen während dieser Zeit signifikante ozeanographische und meteorologische Daten, die insbesondere zum Verständnis der globalen Strömungsverhältnisse der Meere und der Atmosphäre beitrugen. Das Weddellmeer konnte erstmals in seiner Ausdehnung abgeschätzt werden und entwickelte sich zum bevorzugten Gebiet der deutschen Antarktisforschung.

Die Reise der Bark „Deutschland" führte zunächst über den Atlantik nach Buenos Aires und anschließend zur subantarktischen Insel Südgeorgien. Das ehemalige norwegische Fangschiff (Baujahr 1905, Länge 44,2 Meter) war mit einer 220 Kilowatt leistenden Dampfmaschine ausgerüstet mit der kleinere Distanzen unabhängig vom Wind bewältigt werden konnten. Mit Unterstützung des Leiters der Walfangstation in Grytviken, Carl A. Larsen (1860-1924), konnte Filchner mit seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Südgeorgiens Küsten bereisen. Unter anderem wurde die ehemalige deutsche Station des ersten internationalen Polarjahres 1882/83 in der Royal Bay besucht, notdürftig repariert und vier Wochen besetzt.

Ohne größere Hindernisse konnte die „Deutschland" anschließend in das Innere des Weddellmeeres bis fast 78° Süd vorstoßen, wo man am 31. Januar 1912 auf eine Schelfeisbarriere stieß: das heutige Filchner-Ronne-Schelfeis. Damit war eine wesentliche Voraussetzung zum Erreichen des vorrangigen Expeditionszieles erfüllt: Es sollte festgestellt werden, ob die Antarktische Halbinsel mit dem grob bekannten Hauptkontinent in Verbindung stand, oder durch einen Meeresarm getrennt war. Im Sektor 30°-42° W zeigte sich keine Durchfahrt. Vielmehr wurden mehrere Nunataka - aus dem Eis herausragende Felsen – gesichtet, eine Beobachtung, die für eine Verbindung sprach.

Filchner entschloss sich zu einer Überwinterung auf dem neu entdeckten Schelfeis. Bei einer Springflut brach jedoch ein Teil des Schelfeises ab, auf der die Überwinterungsstation errichtet war, die somit aufgegeben werden musste. Filchner entschied sich nach Südgeorgien zurückzukehren. So begann am 4. März 1912 die Flucht vor dem antarktischen Winter aus dem Inneren des Weddellmeeres. Auf dem Weg nach Norden kam das Schiff auf 73°34'S, 33°12'W endgültig fest. Die „Deutschland" fror in einer massiven Scholle ein und wurde mit zunehmender Geschwindigkeit nach Westen und Norden getrieben – manche Tage über 10 Seemeilen. Damit dokumentierte sich die dort herrschende Meeresströmung, der so genannte Weddell Wirbel, und es war offensichtlich, dass man in absehbarer Zeit den offenen Südatlantik erreichen würde. Während der fast neunmonatigen Driftfahrt sammelten die Expeditionsteilnehmer wichtige Daten, die speziell in der Ozeanographie und Meteorologie zu wissenschaftlichen Publikationen genutzt wurden.

Zu Beginn des antarktischen Sommers, am 26. November 1912, wurden die Kessel geheizt, nachdem das Packeis in Treibeis übergegangen war. Die Stationsscholle musste gesprengt werden, damit die „Deutschland“ endlich frei kam und Kurs nach Südgeorgien setzen konnte, das am 19. Dezember 1912 erreicht wurde. Die Heimreise wurde zu ausgedehnten ozeanographischen und bathymetrischen Arbeiten genutzt. In Grytviken wurde die Expedition aufgelöst, nachdem es unter den Expeditionsteilnehmern zu Spannungen gekommen war.

„Trotz der umfassenden neuen Erkenntnisse blieb die internationale wissenschaftliche Reflektion der Reise klein, was mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges zusammenhing und mit der Tatsache, dass es keine geschlossene Präsentation der Ergebnisse gab“, erläutert Dr. Reinhard Krause, Wissenschaftshistoriker am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft, . Das Weddellmeer entwickelte sich zum bevorzugten Forschungsgebiet der modernen deutschen Polarforschung, was die große Bedeutung der Reise unterstreicht. Vom entdeckungsgeschichtlichen Standpunkt ist das Ergebnis der zweiten deutschen Antarktisexpedition vergleichbar mit der Auffindung des Rossschelfeises, 1841 durch James Clark Ross.

Mit der Shackleton-Expedition (1914-16) führte eine der bekanntesten Polarexpeditionen überhaupt mit ganz ähnlichen Zielen in das identische Seegebiet. Im Unterschied zu Filchner erreichte Shackleton weder das Innere des Weddellmeeres noch überstand sein Schiff „Endurance" die Eisdrift. Die faszinierenden Fotografien dieser Expedition von Frank Hurley (1885-1962) aber haben die Welt erobert und die Expedition unsterblich gemacht, während sich an Filchner bestenfalls Spezialisten erinnern.

 

Hinweise für Redaktionen:

Ihre Ansprechpartner sind Dr. Reinhard Krause (Tel.: 0471 4831-1924; E-Mail: Reinhard.Krause@awi.de) und in der Abteilung Kommunikation und Medien Folke Mehrtens (Tel.: 0471 4831-2007; E-Mail: Folke.Mehrtens@awi.de).

 

Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der siebzehn Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

 

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