Wenn Holzstämme auf den Meeresboden sinken, erlauben sie den Tiefseewesen für begrenzte Zeit ein reichhaltiges Leben. Eine neue Untersuchung Bremer Wissenschaftler wirft einen genauen Blick auf die Bewohner des abgesunkenen Holzes und wie sie ihre Umgebung beeinflussen. Die Forscher zeigen, dass die versunkenen Stämme hochdynamische Lebensräume bilden und sehr wichtig für die Vielfalt und Verbreitung von Tieren ebenso wie Bakterien sind.
Nahrung ist knapp in der Tiefsee. Umso wichtiger für das Tiefseeleben ist es, wenn größere Mengen organischen Materials auf den Meeresboden sinken. Dort lassen sie auf kleinem Raum hochproduktive und artenreiche Gemeinschaften entstehen. Solch lokaler Nahrungsreichtum kann durch abgesunkenen Seetang, Holz oder auch Walkadaver entstehen. Zwar beeinflussen diese jeweils nur einen kleinen Bereich des Meeresbodens, doch liefern sie jeweils große Mengen an Kohlenstoff in die Tiefseewüste.
Stämme versenken
Niemand kann vorhersehen, wo genau treibendes Holz zum Meeresboden absinkt. Das macht es den Forschern schwer, die die Besiedlung von Stämmen zu untersuchen. Darum hat ein Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen und des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven gezielt Baumstämme in verschiedenen Meeresregionen versenkt, um die Besiedlung des Holzes genau zu erforschen.
“Wir wählten einige Baumstämme, die nach Größe und Alter genormt waren, nahmen sie mit an Bord unseres Forschungsschiffs und platzieren sie an kalten Quellen im östlichen Mittelmeer und in der norwegischen Nordsee”, erklärt Erstautorin Petra Pop Ristova. Über die nächsten drei Jahre wurden die Stämme wiederholt beprobt, um ihre bakteriellen und tierischen Bewohner zu untersuchen. Anschließend wurden sie wieder vom Meeresboden geborgen und zur detaillierten Analyse ins Labor gebracht. Die Arbeit erfolgte im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts namens DIWOOD der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und des französischen Nationalen Forschungszentrums CNRS.
Steter Wandel
“Wir konnten sehen, dass die versunkenen Holzstämme sehr dynamische Ökosysteme sind”, sagt Pop Ristova. Beginnend mit holzbohrenden Muscheln, die unverzichtbar für die Zerkleinerung des Holzes sind, werden sie zügig von einer artenreichen Organismengemeinschaft besiedelt. Und diese Gemeinschaft verändert sich stetig. “Im östlichen Mittelmeer zum Beispiel folgten verschiedene Arten holzbohrender Muscheln aufeinander, während die Zahl der Spritzwürmer immer größer wurde.“ Gleichzeitig veränderte sich auch die Bakteriengemeinschaft, mit einem zunehmenden Anteil an Sulfatreduzierern und Sulfidoxidierern.
Noch etwas bemerkten die Forscher: Die Lebewesen, die an den Stämmen knabberten, unterschieden sich zwischen den untersuchten Meeresregionen. “Dies ist die erste Studie, die die Veränderung der Besiedlung an standardisierten Proben in verschiedenen Regionen vergleicht“, so Pop Ristova. “Die Stämme hatten unterschiedliche Bewohner, je nachdem, ob wir sie im kalten Nordmeer oder im warmen Mittelmeer platziert hatten. Ob das an der unterschiedlichen Geographie oder an der unterschiedlichen Wassertemperatur in der Tiefsee liegt, können wir noch nicht sicher sagen.”
Nicht weit vom Stamm
Der Einfluss des versunkenen Holzes erstreckt sich auch auf den umliegenden Meeresboden, wo auch immer Holzsplitter hinfallen. So nimmt beispielsweise die Sulfidproduktion im Umkreis des Stammes zu, ebenso wie die Anzahl der sulfatreduzierenden Bakterien. Dieser Einfluss beschränkt sich jedoch auf wenige Meter rund um den Stamm. “Das ist bei anderen Nahrungseinträgen, zum Beispiel Walkadavern, ganz anders”, so AWI-Wissenschaftlerin Antje Boetius, Leiterin der HGF MPG Brückengruppe für Tiefsee-Ökologie und -Technologie und eine der Hauptautorinnen der Studie. “Der Einfluss eines abgesunkenen Wals reicht weit über den Kadaver hinaus und hält mehrere Jahrzehnte an. Die Zellulose aus dem Holz ist viel schwerer abzubauen als die Fette und Eiweiße aus einem Tierkörper, nur wenige spezialisierte Organismen können das überhaupt. Sogar die bohrenden Muscheln können das Holz nur mit Hilfe von Bakterien als Energiequelle nutzen. Die großen, beweglichen Räuber wie Haie oder Schleimaale, die sich auf einen Walkadaver stürzen, können mit Holz nichts anfangen.“
Von Ast zu Ast
Dennoch sind die Holzstämme am Meeresboden wichtig für das Leben in der Tiefsee. Sie dienen als Trittsteine für die Bewohner von heißen und kalten Quellen. Diese liegen oft viele hunderte Kilometer auseinander – ein weiter Weg für Bakterien oder die Tierlarven. “Bei der Zersetzung von Holz durch Bakterien entstehen gute Bedingungen für diese Organismen. Hier können sie bei ihrer Verbreitung quasi eine Zwischenlandung einlegen”, erklärt Pop Ristova.
Zentren der Produktivität und Biodiversität
Wenn in einem sonst nahrungsarmen Umfeld plötzlich große Mengen an Nahrung verfügbar werden, entstehen also fruchtbare Ökosysteme, die eine hochspezialisierte und opportunistische Lebensgemeinschaft anlocken. In Folge bildet sich ein Lebensraum mit einem für die Tiefsee außerordentlich hohen Artenreichtum. Auch wenn die Stämme schwieriger zu verdauen sind als ein toter Wal, spielen sie dennoch eine wichtige Rolle für das umliegende Ökosystem als Zentren der Vielfalt und als Trittsteine für die Bewohner der Tiefseequellen.
Die Studie ist unter folgendem Titel erschienen:
Petra Pop Ristova, Christina Bienhold, FrankWenzhöfer, Pamela E. Rossel and Antje Boetius: Temporal and spatial variations of bacterial and faunal communities associated with deep-sea wood falls. PLOS ONE. DOI: 10.1371/journal.pone.0169906
Dieser Text ist ursprünglich als Pressemeldung des Max-Planck-Institutes für Marine Mikrobiologie erschienen.