16. November 2022
Online-Meldung

In der Arktis: Analog zu extraterrestrischem Leben?

Neue Studie liefert umfassendes Bild neu entdeckter Hydrothermalquellen am arktischen Gakkelrücken

2014 entdeckte ein internationales Team von Forschenden um Prof. Antje Boetius (AWI) und Prof. Chris German (WHOI) an Bord des AWI-Forschungseisbrechers Polarstern ein aktives Hydrothermalquellenfeld in den Tiefen des Arktischen Ozeans nördlich von Grönland. Auf weiteren internationalen Expeditionen geleitet von Eva Ramirez-Llodra  (Rev Ocean, Norwegen) und Vera Schlindwein (AWI) wird das „Aurora“-Feld mit modernsten Geräten umfassend untersucht. Nun hat das Forschungsteam seine Ergebnisse im Fachmagazin Nature Communications vorgestellt. Das Aurora-Feld unter dem arktischen Meereis ist demnach nicht nur ungewöhnlich aktiv, sondern zeigt auch ähnliche Eigenschaften wie die Hydrothermalquellen, die unter der Eiskruste des Saturnmonds Enceladus vermutet werden.

In allen Ozeanen der Erde entsteht permanent neuer Meeresboden an den Ozeanplatten, wenn diese langsam auseinanderspreizen. Tektonische und vulkanische Bewegungen formen dabei tief unter der Meeresoberfläche gigantische Gebirge – die Mittelozeanischen Rücken. Auch der Atlantik wird von Norden nach Süden von einem Unterwassergebirge durchzogen. Das nördliche Ende bildet dabei der 1.800 Kilometer lange Gakkelrücken in der Arktis. Mit durchschnittlich nur einem Zentimeter pro Jahr ist er der weltweit am langsamsten spreizende mittelozeanische Rücken. In der Wissenschaft galt er deshalb lange als weitgehend inaktiv – kaum jemand erwartete dort viel Vulkanismus oder gar heiße Hydrothermalquellen. Zudem war der Gakkelrücken in den Tiefen des Arktischen Ozeans wegen der ganzjährigen Meereisbedeckung nur schwer zugänglich und blieb daher lange unerforscht.

Das änderte sich im Jahr 2001. Bei der gemeinsamen AMORE-Expedition drangen die Forschungseisbrecher FS Polarstern des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und USCGC Healy der US-Amerikanischen Küstenwache zum Gakkelrücken vor. In 4000 Metern Tiefe entdeckten sie in der Riftzone des Gakkelrückens chemische Anzeichen eines aktiven Hydrothermalquellenfeld, das sie „Aurora“ tauften. Die vielversprechenden Untersuchungen konnten jedoch in den folgenden Jahren wegen starker Eisbedeckung zunächst nicht fortgesetzt werden. 2014 kehrte die Polarstern unter der wissenschaftlichen Leitung von Antje Boetius in das Zielgebiet zurück und entdeckte schwarze Raucher. Seit 2019 führt der norwegische Forschungseisbrecher Kronprins Haakon unter der Leitung der Biologin Eva Ramirez-Llodra sowie die Polarstern unter der Leitung der Geophysikerin Vera Schlindwein die Untersuchung von Aurora fort.

Gakkelrücken aktiver als gedacht

Im Fachmagazin Nature Communications zeichnen die beteiligten Forschenden nun erstmals ein umfassendes Bild des Aurora-Hydrothermalquellenfeldes. Aurora liegt in einer Tiefe von knapp 4.000 Metern und ist eine hügelähnliche, vulkanische Erhebung in der Riftzone des Gakkelrückens, die 3 bis 4 Kilometer breit und bis zu 150 Meter hoch ist. In einem mehr als 100 Meter breiten Bereich finden sich aktive „Schwarze Raucher“, aus denen heißes Wasser austritt. Ihre Kamine aus abgelagerten Mineralien erinnern an Stalagmiten. Die erloschenen sind dicht von Schwämmen besiedelt. Bei den aktiven zeigen die Bilder der Unterwasserkameras zan den Spitzen cremefarbene Knäuel aus unzähligen Mikroorganismen. Das austretende Wasser ist mehr als 300 Grad Celsius heiß und enthält hohe Konzentrationen von Kupfer, Mangan, gelöstem Wasserstoff und Methan. Die Zusammensetzung des Wassers spricht nach Ansicht der Forschenden dafür, dass die hydrothermale Zirkulation sehr tief reichen muss – durch die dünne basaltische Kruste bis in das darunterliegende ultramafische Gestein. Nur deshalb – so die Hypothese der Studie – konnte das Feld so ungewöhnlich lang aktiv bleiben und die ausgedehnten Mineralablagerungen schaffen.

„In 2014 entdeckten wir nach viel Suchen die schwarzen Raucher am Meeresboden. Wir konnten so feststellen, dass der Gakkelrücken viel aktiver ist, als es sein Titel der ‚ultralangsamsten‘ Spreizungszone der Erde vermuten lässt“, sagt AWI-Direktorin Prof. Antje Boetius. „Zudem zeigten die Bilder, dass sich auch in dieser Region größere Ansammlungen von Leben bilden, vor allem Bakterien, Flohkrebse und Schwämme.“ Nicht zuletzt gelten solche Hydrothermalquellen als mögliche Orte für die Entstehung von Leben auf der Erde. Denn Studien fanden, dass sich dort mit viel gelöstem Wasserstoff, Schwefel und Eisen aus anorganischem Kohlenstoff organische Moleküle und damit wichtige Ausgangsstoffe für Leben bilden.

„Die eisbedeckte Tiefsee der Arktis ist einerseits eine der letzten völlig unbekannten Zonen der Erde, sie ist aber auch ein geeignetes Analog, um erste Schritte in Richtung der Erforschung anderer Ozeanwelten zu erproben. Denn die Erde ist nur einer von vermutlich zehn planetaren Körpern unseres Sonnensystems, auf denen eisbedeckte Ozeane vermutet werden,“ sagt der Meereschemiker Chris German, der die Expeditionen begleitete. So vermuten Forschende beispielsweise unter der dicken Eiskruste einiger Eismonde der Planeten Saturn und Jupiter große Ozeane aus flüssigem Wasser, an deren Boden sich Hydrothermalquellen aus ultramafischem Gestein speisen. Dieses besteht zu über 90 Prozent aus magnesium- und eisenhaltigen Mineralien und könnte in Kombination mit einem eisbedeckten Ozean günstige Voraussetzungen für die Bildung von Leben schaffen. Und eben diese Konstellation bietet auch das Aurora-Feld. Für künftige Missionen zu den Eismonden und die Erforschung von außerirdischem Leben könnte Aurora damit eine wichtige Modellregion werden.

Bei der Kartierung und Beprobung des Aurora-Feldes setzte das Forschungsteam unter den damals brandneuen Prototypen des Tiefseeroboters NUI des amerikanischen Meeresforschungsinstitutes WHOI (Woods Hole Oceanographic Institution) ein. Auch das am AWI entwickelte OFOS (Ocean Floor Observatory System) und seine Weiterentwicklung OFOBS (Ocean Floor Observation and Bathymetry System) kamen weiter zum Einsatz. OFOBS ist eine geschleppte Forschungsplattform, die über ein spezielles Glasfaser- und Stromkabel mit dem Forschungsschiff verbunden ist. Auf der Plattform befindet sich eine Vielzahl von Geräten, darunter eine hochauflösende Standbildkamera, eine Videokamera, vorwärts und seitwärts gerichtete Sonarsysteme, drei genaue Positionierungssysteme sowie Hilfsinstrumente. Sie übertragen Messdaten und Bilder bestmöglich aus der Tiefe zum Schiff.
 

Originalpublikation 

Christoper R. German, Eoghan P. Reeves, Andreas Türke, Alexander Diehl, Elmar Albers, Wolfgang Bach, Autun Purser, Sofia P. Ramalho, Stefano Suman, Christian Mertens, Maren Walter, Eva Ramirez-Llodra, Vera Schlindwein, Stefan Bünz & Antje Boetius. Volcanically hosted venting with indications of ultramafic influence at Aurora hydrothermal field on Gakkel Ridge. Nature Communications. DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-022-34014-0
 

Weitere Informationen

Antje Boetius über die Expedition zum Aurora-Feld:
“Frauen und Ozeane” bei Netflix