Die Ozeanversauerung wurde häufig als böser Zwilling der Klimaerwärmung bezeichnet. Haben die aktuellen Erkenntnisse ihr diesen Schrecken wieder genommen?
Die Ozeanversauerung ist eher der böse kleine Bruder der Klimaerwärmung. Denn in unseren Untersuchungen zeichnet sich ab, dass die steigende Temperatur gravierendere Folgen hat. Die Ozeanversauerung ist somit ein zusätzlicher Effekt. Sie verschlimmert die Folgen der Erwärmung in den meisten Fällen, aber nicht immer.
Allerdings kann sich saureres Wasser auch auf eine ganz andere Art und Weise auf Tiere auswirken als wärmeres Wasser: Es kann beispielsweise das Verhalten eines Lebewesens verändern.
Eine wichtige Frage am Ende des vorhergehenden CBD-Reports zur Ozeanversauerung war die Bestimmung von so genannten Tipping Points – konnte die Forschung diese bisher definieren?
Tipping points, oder Sensitivity Levels wie wir sie auch nennen, sind unheimlich schwer zu formulieren, weil sie sehr stark artenabhängig sind und zwischen den einzelnen Lebensstadien divergieren. Es gibt eine gewisse Grenze, beispielsweise um 1500 ppm, wo sich bestimmte Effekte umkehren. Hierzu gibt es ein bekanntes Phänomen aus der Fischzucht: Wenn der pH-Wert ein bisschen sinkt, wachsen die Fische deutlich besser.
Das haben wir auch bei Laborversuchen mit dem Atlantischen Kabeljau festgestellt. Bei Fischen, die wir bei einer Kohlendioxid-Konzentration von circa 1000 ppm gehalten haben, also bei dem doppelten bis dreifachen Wert im Vergleich zu heute, wirkt sich der sinkende pH-Wert noch stimulierend auf ihr Wachstum aus. Dieser Effekt dreht sich um, wenn wir mit Konzentrationen um 2000 ppm arbeiten. Dann hören die Tiere plötzlich auf zu wachsen. Das heißt irgendwo zwischen diesen Konzentrationen liegt der Schwellenwert. Hier wird eine Grenze erreicht, ab der sich der Organismus nicht mehr anpassen kann und diese liegt vermutlich irgendwo bei einem pH-Wert zwischen 7,8 und 7,6. Für Ei- und Larvenstadien derselben Art aber können diese Grenzen viel früher erreicht sein. Und es gibt genügend weitere Ausnahmen. Einige Seeigelarten zum Beispiel sind unglaublich empfindlich und ihr Tipping Point liegt viel niedriger.
Und schließlich stellt sich die Frage, wo liegt der Tipping Point eines Ökosystems? Bis zu welchem Punkt kann sich ein Ökosystem daran anpassen, dass einige Arten verschwinden und andere sich ausbreiten? Und ab welchem Punkt ist ein Ökosystem nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen worden?
Ohne einen bestimmten Wert nennen zu können – denken Sie, dass der Ozean an einen Punkt kommen wird, an dem sich sein Ökosystem grundlegend verändern wird?
Nach dem was wir momentan beobachten, sieht es danach aus, dass wir auf tiefgreifende Veränderungen zusteuern. Die Frage ist also eigentlich nicht mehr ob, sondern wann wir diesen Schwellenwert erreichen. Dabei ist der Zeitfaktor unglaublich wichtig, denn je länger die Organismen Zeit haben, sich anzupassen, desto weniger wird vermutlich im Endeffekt passieren. Allmähliche Verschiebungen im Ökosystem sind leichter zu verkraften als abrupte Änderungen.
Wir sind uns aber auch bewusst darüber, dass sich einige Meeresregionen stärker verändern werden als andere. In jenen Ökosystemen, in denen Schlüsselarten empfindlich reagieren, werden die Folgen natürlich dramatisch sein. Der Polardorsch ist zum Beispiel eine Schlüsselart für das arktische Ökosystem und unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass er relativ empfindlich auf die neuen Lebensbedingungen reagiert. In der Arktis kann sich somit das Gefüge des Ökosystems erheblich verschieben.
Das Interview führte Kristina Bär.