Ozean-Schelfeis Wechselwirkung
Für die tiefliegende Aufsetzlinie (1300 m unter dem Meeresspiegel) des relativ kleinen, an das Amundsenmeer angrenzenden Pine Island Schelfeises erreicht die Schmelzrate bis zu 100 Meter an Eismächtigkeit pro Jahr.
Die großen Schelfeise mit einer Fläche von bis zu. 450 000 km² werden von den warmen Wassermassen des tiefen Ozean bisher nicht erreicht. Da sie in Kontakt mit dem kalten, hoch-salinen Schelfwasser stehen, betragen ihre Schmelzraten deutlich weniger als 1 Meter pro Jahr. Unsere Simulationen mit einem numerischen Model des Ozean-Schelfeissystems zeigen jedoch, dass die atmosphärischen Bedingungen im südlichen Weddellmeer, in das das große Filcher-Rönne Schelfeis mündet, als Folge der globalen Klimaerwärmung die Ozeanzirkulation in naher Zukunft fundamental verändern könnten: Durch eine Verlagerung des Küstenstroms könnte relativ warmes Wasser mit ca. 1 oC in die Kaverne des Filchner-Ronne Schelfeises eindringen (Abb. 2), was zu einer signifikanten Erhöhung der basalen Schmelzraten führen würde. Innerhalb von Jahrzehnten würde sich dies durch den Verlust von Bodenhaftung auch auf die Dynamik der Eisströme und damit auf die Massenbilanz des Antarktischen Eisschildes auswirken. Auch an anderen Küstenabschnitten der Antarktis wäre ein wärmerer Ozean in der Lage, einen Schelfeis-Rückzug zu bewirken, wobei die Beschaffung des Untergrundes (Beckenstrukturen) maßgeblich entscheidet, ob es zu einem signifikanten Massenverlust und einem bedrohlichen Anstieg des Meeresspiegels kommt.
Abb. 2: Entwicklung der Bodentemperatur im südlichen Weddellmeer für die Periode 2050-2100 aus Modellläufen mit dem atmosphärischen Antrieb des IPCC-AR4 Szenarios A1B. Bis zum Jahr 2070 dringen kurzfristig Pulse von warmem Wasser in den Filchner Trog ein, jedoch kehrt das System immer wieder in den heutigen Zustand mit kalten, salzreichen Schelfwassermassen zurück. Im Jahr 2075 gelangt modifiziertes Warmes Tiefenwasser zum ersten Mal bis zur Schelfeiskante vor, um dann unumkehrbar bis zur den Aufsetzlinien des Filchner Schelfeises vorzudringen (2081) und weite Teile der tiefen Ronne Schelfeiskaverne zu füllen (2100).
Der Einfluss des Ozeans auf die marin-endenden Gletscher Grönlands ist erst in jüngster Zeit in den Fokus der Wissenschaft gerückt. In die Gletscherfjorde rund um Grönland kann relativ warmes Atlantikwasser eindringen. Ein starker Rückzug der Gletscher wird in Südost- und Westgrönland beobachtet, wo das Wasser in den Fjorden besonders hohe Temperaturen von bis zu 4°C aufweist, während die Gletscher Nordgrönlands typischerweise deutliche schwächere Änderungen zeigen.
Es hat sich jedoch gezeigt, dass die in numerischen Modellen simulierten ozeanischen Veränderungen sehr stark von der Wahl des den atmosphärischen Antrieb liefernden Klimamodells abhängen, so dass weitere Modelluntersuchungen zum Südozean mit verbesserten Modellen (IPCC-AR6) von Nöten sind. Dies erfordert jedoch eine Validierung der Modellergebnisse, die nur durch eine kontinuierliche Aufnahme (Monitoring) der hydrographischen Bedingungen an Schlüsselpositionen in den Randmeeren und Schelfgebieten der Antarktis und Grönlands sichergestellt werden kann. Diese Arbeiten stellen einen wichtigen Teil unserer Aufgaben dar. Jedoch ist zusätzlich die direkte Kopplung des Ozeans mit dem Schelf- und Inlandeis in numerischen Modellen bisher nicht zufriedenstellend gelöst.
An dieser Herausforderung wird intensiv am AWI gearbeitet. Dabei ist die Aussagekraft der Modelle in hohem Maße auch von der Genauigkeit der Kenntnisse zur Geometrie der Schelfeiskaverne sowie der Bodentopographie unter dem Eisschild abhängig. Daher arbeiten die physikalischen Ozeanographen am AWI in der Frage der Ozean-Eisschild Wechselwirkung während gemeinsamer Forschungsexpeditionen eng mit den Kolleginnen und Kollegen der Geophysik und Glaziologie zusammen.