Eisbergkratzer simuliert: Erstes Freilandexperiment zur Wiederbesiedlung am antarktischen Meeresboden
„Polarstern“, Forschungsschiff des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, hat soeben in der Antarktis ein langfristig angelegtes Feldexperiment am Meeresboden begonnen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen beobachten, in welcher Weise bodenlebende Organismen freie Flächen am Meeresgrund, die beispielsweise durch Eisberge entstehen, wieder neu besiedeln.
In 300 Metern Tiefe wurde der Boden mit einem Schleppnetz von den Organismen befreit. Das Experiment, das vom Bund für Naturschutz unterstützt und mit Genehmigung des Umweltbundesamts durchgeführt wird, simuliert die Wirkung eines über den Boden kratzenden Eisbergs auf die Fauna. Tausende von Eisbergen haben auf ihrer Drift um die Antarktis immer wieder Bodenberührung und schaffen freie Flächen, die neu besiedelt werden können. Das Problem beim Studium dieser natürlich gestörten Flächen liegt darin, dass die Wissenschaftler in einen laufenden Prozess hineinkommen, von dem sie nicht wissen, wann er begonnen hat. Dagegen ist bei dem geschilderten Experiment, das von AWI-Ökologen mit internationalen Partnern erstmalig in der Antarktis durchgeführt wird, die „Stunde Null“ bekannt.
Auf den unbesiedelten Flächen werden sich nun unter anderem Schwämme, Moostierchen, Seescheiden und Nesseltiere ansiedeln. Dieser Prozess soll in den kommenden Jahren mit visuellen und invasiven Methoden überwacht werden. Dabei sind nicht nur die Art der Siedler und die Zusammensetzung der aufeinander folgenden Besiedlungsstadien von Interesse, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der sich am Meeresboden wieder eine artenreiche, komplex strukturierte Gemeinschaft entwickelt. Aus dem Grad der Erholungsfähigkeit der Bodenfauna lassen sich Rückschlüsse auf die Belastbarkeit des antarktischen Ökosystems und somit seine potentielle Schutzbedürftigkeit ziehen. Darüber hinaus gewinnen die Forscher Erkenntnisse über das Funktionieren eines marinen Ökosystems, das bislang weitgehend von menschlichen Einflüssen unberührt geblieben ist.
Bremerhaven, den 6.1.2004