Zum ersten Mal ist es gelungen, das Erbgut einer Planktonalge der Meere zu sequenzieren. Dabei ist ein Team internationaler Wissenschaftler auf unerwartete Stoffwechselwege in der Kieselalge Thalassiosira pseudonana gestoßen. Die Ergebnisse werden diese Woche in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht.
Eine besondere Entdeckung ist das Vorhandensein des Harnstoffzyklus in Thalassiosira pseudonana. Bisher war dieser Stoffwechselweg zur Ammoniakentgiftung nur aus den Leberzellen von Tieren und Menschen bekannt. Noch ist unklar, wie der Zyklus in der Alge abläuft. Ebenfalls ungewöhnlich ist, dass die Kieselalge über zwei Möglichkeiten verfügt, Fett abzubauen. In den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle, findet sich der Abbauweg, wie er auch bei Tieren abläuft. In den der Entgiftung dienenden Peroxysomen hingegen werden Fettsäuren auf die in Pflanzen übliche Weise zerlegt. Die Grenzen zwischen Tieren und Pflanzen scheinen sich bei Kieselalgen also zu verwischen.
Die Sequenzierung des Genoms von Thalassiosira pseudonana ist auch für die Evolutionsbiologie von großem Interesse. Die Wissenschaftler sind auf Gene gestoßen, die aus dem Zellkern einer Rotalge stammen. Dieser Gentransfer stützt die Theorie der sekundären Endosymbiose. Eukaryoten wie Kieselalgen sind komplex aufgebaute Zellen mit abgegrenztem Zellkern und Zellorganellen. Jedes Lebewesen außer dem Bakterium besteht aus eukaryotischen Zellen. Fast alle eukaryotischen Zellen, so auch die des Menschen, besitzen Mitochondrien. Bei Pflanzen und Algen kommen noch die Plastiden hinzu, die die Photosynthese bewerkstelligen. Beide Organellen-Typen waren ursprünglich einmal frei lebende Bakterien die von eukaryotischen Zellen einverleibt wurden. Sie werden deshalb auch als primäre Endosymbionten bezeichnet. In einigen Fällen kam es zu einer sekundären Endosymbiose, bei der eine eukaryotische Zelle von einer weiteren aufgenommen wurde und zu einem – nun sekundären – Organell reduziert wurde. Kieselalgen haben nun offensichtlich eine einzellige Rotalge aufgenommen und zu einem sekundären Plastiden umgewandelt. „Die Kieselalge ist also eine Art Chimäre aus mehreren Organismen“, sagt Dr. Klaus Valentin vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Damit erkläre sich das Vorhandensein von Rotalgen-Genen in T. pseudonana, so Klaus Valentin, der in diesem Projekt unter anderem an der Identifizierung von Genen mitgewirkt hat.
Kieselalgen wie Thalassiosira sind von besonderer ökologischer Bedeutung, da sie mit geschätzten 20 Prozent zur globalen Primärproduktion beitragen. Ihre Rolle im Kohlenstoffkreislauf ist somit derjenigen der Regenwälder vergleichbar. Die einzelligen Algen sind überall auf der Erde in den Meeren oder im Süßwasser zu Hause und sie kommen sogar in Flüssigkeitsfilmen auf Böden, Steinen oder Bäumen vor. Sie bilden die Basis eines äußerst effizienten Nahrungsnetzes und sind deshalb auch maßgeblich für den kommerziellen Fischfang. So sind beispielsweise die roten Farbstoffe aus Kieselalgen letztlich für die rote Farbe des Lachses verantwortlich. Ihren Namen haben Kieselalgen von der Schicht aus Kieselsäure (Siliziumdioxid), die die Zelle umgibt und die wunderschön ornamentiert sein kann.
Das Projekt zur Sequenzierung des Erbguts von Thalassiosira pseudonana wurde von den U.S.A. koordiniert und vom U.S. Energieministerium finanziert. Aus Deutschland ist neben Dr. Klaus Valentin vom Alfred-Wegener-Institut Dr. Nils Kröger vom Lehrstuhl Biochemie I der Universität Regensburg an dem Projekt beteiligt.
Der Artikel „The Genome of the Diatom Thalassiosira pseudonana: Ecology, Evolution and Metabolism“ wird am 1. Oktober in “Science” veröffentlicht.
Bremerhaven, den 29. September 2004