02. Mai 2019
Online-Meldung

Schlummernder Riese erwacht

Beschleunigtes Tauen des Permafrosts in nördlichen Regionen wird weitreichende Folgen auf das globale Klima haben
Thermokarst-Seen in Alaska (Foto: Guido Grosse / Alfred-Wegener-Institut)

Seit Jahren erforschen Wissenschaftler, inwieweit das allmähliche oberflächennahe Tauen des Permafrosts, das sich über Jahrzehnte in der obersten Schicht der arktischen Böden hinzieht, die Freisetzung von bisher tiefgefrorenem Kohlenstoff in die Atmosphäre beeinflussen wird. Ein internationales Forscher-Team unter Mitwirkung von AWI-Wissenschaftler Prof. Dr. Guido Grosse weist nun auf die Dringlichkeit eines weitergehenden Phänomens hin, welches bisher in einzelnen Feld- und Fernerkundungsstudien untersucht wurde: Das abrupte Tauen von eisreichem Permafrost, was durch Bodensenkung, Enstehung von Seen, und massiven Hangrutschungen ganze Landschaften in Monaten bis wenigen Jahre transformieren kann – und damit sogar den Kohlenstoff aus größeren Tiefen freisetzt. Ihr Kommentar wurde nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Die Erstautorin des Berichts, Prof. Dr. Merritt Turetskyvon der University of Guelph in Kanada, beschreibt in diesem Zusammenhang den Permafrostkohlenstoffspeicher als einen „schlummernden Riesen“ der am Erwachen ist. Das abrupte Abschmelzen dieser Böden und die Kohlenstoffmobilisierung dürfte weitreichende Auswirkungen auf die Erderwärmung haben. 

„Die vielen verschiedenen schnellen Auftauprozesse wurden bisher nur lokal oder regional betrachtet. Eine Zusammenführung der Studien und Daten, um die mobilisierte Kohlenstoffmenge ähnlich wie schon bei dem allmählichen, oberflächennahen Tauen abzuschätzen, stand bisher aus.“, so Guido Grosse, Wissenschaftler und Permafrost-Experte am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).

Etwa ein Viertel der Landoberfläche der Nordhalbkugel der Erde wird vom Permafrost beeinflusst. Diese gefrorenen Böden speicherten den Kohlenstoff aus der Biomasse von abgestorbenen Pflanzen, Tieren und Mikroben viele Jahrtausende lang und verhinderten somit den Abbau und anschließenden Transfer in die Atmosphäre. Infolgedessen speichern Permafrostböden inzwischen fast doppelt so viel Kohlenstoff – ungefähr 1600 Milliarden Tonnen (Gigatonnen) – wie die Atmosphäre (etwa 830 Gigatonnen). 

In ihrem Kommentar diskutiert das internationale Wissenschaftler-Team die Folgen des abrupten Abtauens der Permafrostböden und Vorhersagen zu den Auswirkungen auf Kohlenstofffreisetzung, Lebensweisen in den nördlichen Breitengraden und Klimapolitik. Um die Gesamtauswirkung einschätzen zu können, sammelten und verglichen die Expertinnen und Experten Studienergebnisse über abruptes Auftauen, die in verschiedenen Ökosystemen quer durch die Permafrostzone durchgeführt wurden.  

Guido Grosse erklärt: „Schnelle Prozesse wie Thermokarst und Thermo-erosion führen dazu, dass selbst Permafrost in vielen Metern Tiefe innerhalb weniger Jahre auftaut oder in Extremfällen, wie etwa bei Taurutschungen, sogar innerhalb von Wochen ein grosses Volumen des Untergrundes auftaut. Ist man bisher von nur lokalem Auftreten dieser Prozesse ausgegangen, zeigt sich in immer mehr Studien, wie weitverbreitet und auch immer häufiger diese Prozesse selbst in den kältesten Regionen der hohen Arktis vonstattengehen.“  

Im Gegensatz zum allmählichen Auftauen, das vorwiegend die Oberfläche betrifft und tiefere Bodenschichten nur sehr langsam erreicht, greift das abrupte Auftauen entsprechend auch tieferliegende Kohlenstoffspeicher an. Darüber hinaus setzt abruptes Auftauen meist mehr Methan frei – ein vielfach wirksameres Treibhausgas als Kohlendioxid – als allmähliches Tauen. Obwohl nach ersten Abschätzungen nur etwa 20% der Permafrostregion für solch schnelles Tauen anfällig sind, könnte sich das bekannte Klimafeedback aus Permafrostregionen durch die zusätzlichen Kohlenstoffemissionen bis Ende des Jahrhunderts verdoppeln.  

In dem nun veröffentlichten Kommentar unterstreicht das Forscherteam die Notwendigkeit, die Mess- und Beobachtungsarbeiten bezüglich des arktischen Permafrosts zu intensivieren sowie Klimamodelle zu Auswirkungen des Permafrosts zu verbessern – insbesondere die Auswirkungen des schnellen Tauens müssten berücksichtigt werden, da diese Änderungen auch auf politisch relevanten Zeitskalen vonstattengehen: Den Forschern zufolge wird das abrupte Tauen von Permafrost erhebliche Folgen mit sich bringen. Die Konsequenzen reichen von kostspieligen Infrastrukturschäden an Straßen und Bahngleisen bis hin zu noch größeren Schwierigkeiten, die geforderten Emissionsziele für eine Begrenzung der Klimaerwärmung zu erreichen – denn weder das allmähliche oberflächennahe noch das schnelle tiefe Tauen von Permafrost und die damit zusammenhängende Kohlenstofffreisetzung sind bisher in die Klimamodelle des Weltklimarates IPCC eingebaut. 

Der vollständige Nature-Artikel ist online abrufbar.

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