PS94 Wochenbericht Nr. 1 | 17. August bis 23. August 2015

Zwischen Kisten und Containern

Am Montag, den 17. August liefen wir pünktlich um 16 Uhr aus dem hochsommerlichen Tromsö aus.
[23. August 2015] 

Die schöne Fjordlandschaft lenkte von der Sorge ab, ob wohl wirklich alle nachträglich nach Tromsö gelieferten Expeditionsgüter angekommen waren, – aber natürlich hatten Ladeoffizier und Mannschaft bereits alles an Bord und verstaut.

Der Sommer begleitete uns noch eine kleine Weile auf unserem Weg in die Arktis, aber davon haben wir wenig mitbekommen, da zunächst das Auspacken auf Hochtouren lief. Der Beginn jedes Fahrtabschnittes wird typischerweise von einem milden Chaos beherrscht: Labore  werden zugeteilt, und dann wieder umgetauscht, der Platz reicht hinten und vorne nicht, die Container werden ausgestaut. Kisten werden nicht gefunden, tauchen dann aber doch auf, Geräte funktionieren überhaupt nicht, aber nach etwas Ruhe gehen sie wunderbarer Weise doch und nach und nach legt sich die Hektik.

Unser Kurs ging zunächst nach Nordosten, quer durch die Barentssee. Wir wollen östlich von Svalbard (die Inselgruppe mit der Hauptinsel Spitsbergen) einen Transsekt in die zentrale Arktis bis zum Nordpol fahren. Die Barentssee ist mit etwa 200 m Wassertiefe ein flaches Schelfmeer und die zentrale Arktis besteht aus bis zu 5000 m tiefen Becken. Auch sonst sind diese beiden Bereiche äußerst unterschiedlich. Unser Transsekt soll helfen zu verstehen, wie sich der Übergang zwischen arktischen Flachmeeren und Tiefsee auf Meeresströmungen, Ökosysteme, Stoffkreisläufe auswirkt.

Also ging es gleich am Dienstag los mit der ersten Station, um Bodenproben mit dem so genannten Multicorer zu nehmen. Der wird an einem Seil heruntergelassen und sticht dann mit 8 Rohren in den Boden, um 8 circa 40 cm hohe Schlickzylinder zu gewinnen. Das Prinzip ist ähnlich wie bei einem Sandförmchen am Strand, nur muss man in 200 m Wassertiefe blind und daher mit viel Erfahrung und Geschick arbeiten. Am und im Meeresboden leben eine Menge Organismen, die sich von dem ernähren, was an verwertbaren Partikeln aus den oberen Schichten zu ihnen herunterrieselt. Wenn sie diese Nahrung aufnehmen, verbrauchen sie genauso wie wir Sauerstoff. In den kleinen Schlickzylindern, die unsere zwei Benthosspezialisten vom Meeresboden geholt haben, messen sie nun, wieviel Sauerstoff verbraucht wird, und können damit beurteilen, wie rege das Bodenleben in der Barentssee ist.

Quasi als Standardmessung ging es gleich mit der Registrierung von Temperatur und Salzgehalt weiter. Diese zwei Basisparameter werden wir in den kommenden zwei Monaten mit einer Vielzahl von Geräten messen, aber als erstes setzten wir unsere brandneue Underway-CTD ein. Vom fahrenden Schiff wird am Achterdeck über eine kleine Winde ein dünnes Seil abgespult, an dem eine stromlinienförmige Sonde hängt, die einen Temperatur-, einen Druck- und einen Leitfähigkeitssensor beherbergt. Aus den drei Parametern kann man später den Salzgehalt ausrechnen. Während das Schiff fährt, lassen wir die Leine abspulen, die kleine Sonde sinkt in die Tiefe, und wenn das Seil ausgefahren ist, wird es wieder aufgetrommelt. Die Sonde erscheint wieder an der Oberfläche, wird von der Windensteuerfrau (oder -mann) und den umhersegelnden hungrigen Seevögeln begrüßt und ab geht es wieder in die Tiefe für das nächste Profil. So schnurrte die Underway-CTD wie ein Spinnrad den ganzen Tag und die Mitglieder der Ozeanographiegruppe rissen sich darum, bei Sonnenschein an der Reling zu stehen, den Wellen und Möwen zuzuschauen und ab und zu einen Knopf zu drücken. Mit diesem Vergnügen war leider Schluss, sobald die ersten Eisschollen auftauchten.

Am Freitag schickte uns der Nordwind auf der Rückseite eines kleinen Tiefdruckgebietes über Franz-Josef-Land frostige minus ein Grad und die ersten Eisschollen entgegen. Im Laufe des Tages wurde das Eis dichter und wir waren in der Arktis angekommen. Kaum fuhren wir ein paar Stunden durchs Eis, als auch die ersten Eisbären auftauchten. Das war ein feiner warnender Hinweis für die kommenden Eisstationen, dass bei aller Begeisterung für die Messungen die Sorge für die Messenden und damit eine aufmerksame Eisbärenwache noch wichtiger sind.

Aber noch ist das Eis zu dünn und die Schollen sind zu klein um mit Eisarbeiten zu beginnen. Stattdessen verfolgen wir mit einer Serie von hydrographischen Messungen entlang von 30°E nun einen direkten Kurs nach Norden. Was es mit diesen Messungen auf sich hat, darüber berichten wir im nächsten Brief.

Für heute grüße ich alle zuhause ganz herzlich im Namen unserer ganzen Truppe, der es gut geht!

Ursula Schauer

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