PS115.1 – Wochenbericht Nr. 3 | 20.08. – 26.08.2018

Überraschende Eisverhältnisse begünstigen unser Messprogramm im Norden

[27. August 2018] 

Am Beginn der zweiten Hälfte unserer Forschungsreise stand eine kurze Transitfahrt nach Nordwesten an. Ein Eisfeld von etwa 40 Seemeilen war zu durchqueren, dass für unser geschlepptes seismisches Messkabel bei Fortsetzung des Messbetriebs eine unnötige Gefahr darstellen würde.

Wir entschlossen uns deshalb, die in diesem Bereich ursprünglich geplanten seismischen Arbeiten weiter nach Norden zu verlegen, in der Hoffnung auf dort günstigere Eisbedingungen.

Die uns vorliegenden Satellitenbildinformationen ließen eisfreie Gebiete nördlich von 83°N erwarten, was für diese Region derart ungewöhnlich ist, dass wir dies bei der Planung und Vorbereitung unseres Forschungsprogramms nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hatten. Dass sich saisonal vor der Küste Nordostgrönlands eine Polynja, ein 50-100 km breiter küstenparalleler Streifen weitgehend eisfreien Wassers bildet, ist für diese Jahreszeit nicht untypisch, da ablandige Fallwinde von der grönländischen Eiskappe das küstennahe Packeis zurückdrängen. Absolut ungewöhnlich stellte sich jedoch die aktuelle Eissituation dar, die eisfreies Wasser bis über 84°N in die Lincolnsee versprach und somit Messbedingungen bot, wie sie noch niemals zuvor vorlagen.

Wir nahmen unsere seismischen Profilmessungen mit 3 km Streamerkabel nach Passage des Eisfeldes am Sonntagmorgen bei 83°N wieder auf und konnten so wertvolle Daten zum  geologischen Strukturbau dieser im ozeanischen Bereich unerforschten Region akquirieren. Von besonderem Interesse ist für uns der Morris Jesup Rise, eine Untergrundstruktur die 500 km weiter östlich mit dem Yermak Plateau ein Pendant auf der gegenüberliegenden Seite des mittelozeanischen Gakkel-Rückens findet. Ob diese Strukturen kontinentalen Ursprungs sind und wie sie im Zuge der Öffnung des Arktischen Ozeans über die letzten 55 Millionen Jahren an ihre heutige Position gelangt sind, wird kontrovers diskutiert. Das liegt vor allem an den unzureichend vorhandenen geologischen und geophysikalischen Daten.

Bei 84°18.73‘N erreichten wir am Montagmorgen den Endpunkt des bisher nördlichsten reflexionsseismischen Profils der BGR, das mit einem 3 km langen Streamer vermessen wurde. Zunehmend dichteres Eis veranlasste uns, die weiteren Arbeiten in westlicher Richtung fortzusetzen und die unerwartet günstigen Eisverhältnisse für weitere Profile in der Lincolnsee auszunutzen, nachdem wir zuvor mit dem Helikopter eine Eiserkundung durchgeführt hatten.

Nach der Vermessung von vier weiteren Seismikprofilen im östlichsten Teil der Lincolnsee beendeten wir hier die reflexionsseismischen Arbeiten am Dienstagabend (21.8.) und holten bis gegen Mitternacht alle geschleppten Geräte wieder an Deck.

Mit der nachfolgenden Vermessung eines refraktionsseismischen Profils werden in Ergänzung zu den reflexionsseismischen Daten Informationen über die tiefere Erdkruste im Grenzbereich zwischen Grönland und Morris Jesup Rise gewonnen. Hierzu wurden bis zum Mittag des 22. August insgesamt 9 Ozeanbodenseismometer (OBS) im Abstand von 10 km ausgesetzt, die am Meeresboden die Antwort der im Anschluss daran erzeugten Luftpulsersignale entlang des Profils registrieren. Am Mittwochabend war die 100 km lange refraktionsseismische Linie vermessen und die spannende Phase der Bergung der Geräte vom Meeresboden begann. Das driftende Meereis ist dabei ein erheblicher Risikofaktor, da Eisschollen das Auftauchen und Bergen der Geräte beinträchtigen oder auch ganz verhindern können. Nicht nur die perfekte Vorbereitung und Programmierung der OBS ist entscheidend für das problemlose Einholen der Geräte, sondern insbesondere die Erfahrung der Nautiker und der Decksmannschaft im Umgang mit diesen Gegebenheiten. Es galt, sehr präzise die Auftauchposition voraus zu bestimmen und gegebenenfalls die nähere Umgebung der Lokation weitestgehend vom Eis frei zu räumen. Bis zum Donnerstagmittag waren dann zur Erleichterung aller Kollegen die Geräte vollzählig wieder an Bord. Unser besonderer Dank für die zügige und verlustfreie Bergung aller Geräte gebührt Kapitän Wunderlich und seiner Crew.

Unmittelbar im Anschluss wurden an dieser nördlichsten Position unserer Reise noch mit Schwerelot und Kastengreifer die Meeresbodensedimente beprobt, bevor FS Polarstern Kurs nahm auf eine Position ca. 40 Seemeilen östlich, an der geplant war, mittels Dredge Gesteinsproben am Morris Jesup Rise zu gewinnen. Der Weg dorthin erforderte nach vorliegenden Satelliteninformationen Eisfahrt. Nach anfänglichem gutem Vorankommen mussten wir unser Vorhaben ca. 15 Seemeilen vor der angestrebten Position aufgeben. Die Zeitplanung bis zur Ankunft in Longyearbyen auf Svalbard am Ende der Reise erlaubte keine unkalkulierbaren Risiken mehr, insbesondere, da sich die Eisverhältnisse durch starke Nordwinde in den letzten Tagen signifikant verändert hatten und bereits die Rückkehr nach Süden deutlich zeitaufwändiger machten. Nach ca. 200 Seemeilen Transitfahrt gelangten wir dann am Samstag in die weniger eisbedeckte Wandelsee vor der Nordostspitze Grönlands. Von hier aus wollen wir in der letzten Woche unserer Reise mit Arbeiten auf dem nordöstlichen Grönlandschelf abschließen.

Der überraschende Funkkontakt mit dem kanadischen eisbrechenden Erzfrachter Nunavik, der uns auf Erkundungsfahrt in Richtung Lincolnsee begegnete, lässt erahnen, dass der weitere Rückzug des arktischen Meereises eine nördliche Umfahrung Grönlands bis in die Baffinbay in nicht allzu ferner Zukunft ermöglichen könnte.

Mit besten Grüßen von Bord im Namen aller Kolleginnen und Kollegen

 

Volkmar Damm

Position 80°52‘N, 03°25‘W

Kontakt

Wissenschaft

Dr. Volkmar Damm
+49-(0)511-643-3226
Volkmar.Damm@bgr.de

Wissenschaftliche Koordination

Rainer Knust
+49(471)4831-1709
Rainer Knust

Assistenz

Sanne Bochert
+49(471)4831-1859
Sanne Bochert