Bremerhaven, 27. November 2012. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat heute erstmals einen Bericht zum Zustand der globalen Permafrost-Gebiete veröffentlicht. Darin beschreibt ein internationales Expertenteam auf verständliche Art und Weise, wie sich der Klimawandel auf die dauerhaft gefrorenen Böden in der Arktis, Sibirien und in den Hochgebirgen auswirkt, welches Gefahrenpotenzial von dem tauenden Untergrund ausgeht und auf welche weitreichenden Folgen sich Staaten mit Permafrost einstellen müssen. Zudem fordern die Forscher von Politikern und Klimawissenschaftlern, das Wissen über den Wandel der Permafrost-Gebiete stärker in die internationale Klimadebatte mit einzubeziehen. „Der Bericht zeigt, dass in Zukunft die Veränderung des Permafrostes eine sehr große Herausforderung für die Gesellschaft darstellen wird“, sagt Mitautor und Permafrost-Experte Dr. Hugues Lantuit vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft.
In dem fast 40 Seiten umfassenden Bericht, den UNEP heute am Rande der Internationalen Klimakonferenz in Doha, Katar, vorgestellt hat, geben die Autoren drei Empfehlungen, auf welche Weise künftig genauere Vorhersagen über umweltrelevante, soziale und wirtschaftliche Folgen des Permafrost-Rückgangs getroffen werden können. „Es gibt zwar schon ein internationales Netzwerk von Messstationen. Dieses muss jedoch ausgebaut und die Methoden vereinheitlicht werden. Das Messen der Permafrost-Temperatur und der Tiefe der Auftauschicht sollte in den Ländern mit Permafrost fester Bestandteil der Wettermessungen werden“, sagt Hugues Lantuit. In diesem Punkt seien nicht nur Wissenschaftler, sondern auch die Regierungen gefragt. Sie müssten in den Ausbau und den Betrieb der Stationen investieren, damit die Forscher künftig flächendeckend aussagekräftige Daten über den Zustand des Permafrostbodens gewinnen können.
Hugues Lantuit und sein Team am Alfred-Wegener-Institut arbeiten derzeit an einer Datenbank, die in wenigen Monaten erstmals Angaben über die Bodentemperatur und die Tiefe der „Auftau-Schicht“ für Permafrost-Regionen rund um den Globus vereinen soll. Per Mausklick werden Wissenschaftler dann in der Lage sein, alle verfügbaren Permafrost-Temperaturdaten abzurufen, sie für Klimamodellrechnungen zu verwenden oder auf ihrer Grundlage aktuelle Permafrost-Karten zu erstellen.
Die zweite Empfehlung des neuen UNEP-Reports richtet sich an die Klimawissenschaft. „Viele Klimamodelle berücksichtigen derzeit noch nicht den sogenannten Permafrost-Rückkopplungseffekt. Deshalb empfehlen wir dem Weltklimarat IPCC, gemeinsam mit der International Permafrost Association ein Spezial-Gutachten zum Einfluss der tauenden Permafrostböden auf das globale Klima zu erstellen“, sagt Hugues Lantuit.
Die bis zu 1500 Meter tief gefrorenen Böden in der Arktis, Sibirien und in Hochgebirgsregionen wie der Zugspitze gehören zu den größten Kohlenstoffspeichern der Erde. Schätzungen zufolge enthalten sie rund zweimal so viel Kohlenstoff, wie sich derzeit in der Atmosphäre befindet. Taut nun dieser Untergrund aus Eis und Erde, wird ein Prozess eingeleitet, wie ihn Gärtner vom eigenen Komposthaufen kennen. Bakterien und Mikroorganismen beginnen, einen Großteil der im Boden enthaltenen Tier- und Pflanzenreste abzubauen. Dabei wandeln sie deren organisch-gebundenen Kohlenstoff in Methan oder Kohlendioxid um. Beides sind Treibhausgase, welche die Erderwärmung verstärken und auf diese Weise das Abtauen des verbliebenen Permafrostbodens vorantreiben. Wissenschaftler bezeichnen diesen sich selbst verstärkenden Prozess als Permafrost-Rückkopplungseffekt.
Welches Ausmaß diese Rückkopplung jedoch annehmen wird, kann bisher nur geschätzt werden. Gewiss ist jedoch: Sie darf von niemandem unterschätzt werden: „Die Bedeutung des Permafrostes für das globale Klima und das Leben der Menschen in der Arktis und den Gebirgen ist viel zu lange vernachlässigt worden. Jetzt ist die Zeit gekommen, dass auch die politischen Entscheidungsträger sich mit dieser Problematik auseinandersetzen und sie ernst nehmen“, sagt Hugues Lantuit.
Die dritte Empfehlung des neuen UNEP-Reports zielt deshalb auf die Entwicklung konkreter Anpassungsstrategien ab. „Staaten, die wie Russland, Kanada, China oder die USA über große Permafrost-Gebiete verfügen, sollten anfangen, mögliche Risiken, Schäden und Kosten eines großflächigen Tauprozesses abzuschätzen und zu erfassen“, so Hugues Lantuit. Bisher gibt es laut Bericht nämlich nur eine Handvoll Studien, die sich mit dem Thema Folgekosten beschäftigen. Dabei sei jetzt schon abzusehen, dass in Zukunft die Zahl der Schäden an Häusern, Straßen, Wasserleitungen und anderer Infrastruktur deutlich steigen werde.
Hugues Lantuit verbindet mit dem neuen UNEP-Report zudem noch ganz persönliche Wünsche. „Ich hoffe zum einen, dass dieser Bericht von vielen Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gelesen wird. Zum anderen sollte er der Anfang einer regelmäßigen Berichterstattung sein“, sagt der Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes. Das Thema Permafrost sei viel zu wichtig, um die breite Öffentlichkeit nur einmal auf so umfassende und verständliche Art und Weise zu informieren, so das Vorstandsmitglied der International Permafrost Association (IPA).
Der UNEP-Report heißt im Original: Policy Implication of Warming Permafrost, ist von Kevin Schaefer, Hugues Lantuit, Vladimir E. Romanovsky und Edward A. G. Schuur erstellt worden und steht unter der folgenden Adresse in englischer Sprache zum Download zur Verfügung - Link: www.unep.org/pdf/permafrost.pdf.
Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft (AWI) gehört zu den führenden Permafrost-Forschungseinrichtungen der Welt. Seine Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erforschen den dauerhaft gefrorenen Boden unter anderem in Alaska, im Norden Kanadas, auf Spitzbergen sowie im Norden Sibiriens. Das AWI koordiniert das EU-Permafrost-Forschungsprojekt PAGE21 (www.page21.org) und ist zudem Sitz der International Permafrost Association (IPA).
Hinweise für Redaktionen:
Autoren des UNEP-Berichtes „Policy Implications of Warming Permafrost“ sind:
Kevin Schaefer (University of Colorado, Boulder, USA),Hugues Lantuit (Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft, Forschungsstelle Potsdam), Vladimir E. Romanovsky (University of Alaska Fairbanks, Fairbanks, USA) und Edward A. G. Schuur (University of Florida, Gainesville, USA).
Weitere druckbare Fotos und Kartenmaterial finden Sie hier.
Ihr wissenschaftlicher Ansprechpartner am Alfred-Wegener-Institut ist Dr. Hugues Lantuit (Tel: 0331-288-2216, Email: Hugues.Lantuit(at)awi.de). In der Abteilung Kommunikation und Medien steht Ihnen Sina Löschke (Tel: 0471-4831-2008; Email: medien(at)awi.de) für Rückfragen zur Verfügung
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Michael Logan, UNEP Public Information Officer, +254 20 762 5211 / +254 725 939 620, michael.logan(at)unep.org
UNEP Newsdesk (Nairobi), +254 20 762 3088 / +254 207625211, unepnewsdesk(at)unep.org
Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.