PS107 - Wochenbericht Nr. 2 | 31.Juli - 6. August 2017

Wie man einen Wirbel findet

[07. August 2017] 

Während der HAUSGARTEN Fahrten untersuchen und beproben wir die ozeanographischen Bedingungen und die biologischen Gemeinschaften normalerweise auf einer relativ großen Skala. Benachbarte Stationen sind oft 20-40 km oder mehr voneinander entfernt. Viele wichtige Prozesse und physikalisch-biologische Interaktionen finden allerdings auf viel kleineren räumlichen Skalen statt. Um zu zeigen, wie neue Messmethoden, die in der Lage sind eine große horizontale Auflösung zu erzielen, zusammen mit interdisziplinärer Kooperation solche kleinskaligen Prozesse darstellen können, hatten wir uns dazu entschieden ein kleines ergänzendes Programm aufzusetzen und machten uns auf den Weg um eine Front zu finden und sie zu vermessen.

Am 26. Juli erhielten wir ein Satelliten Radar Bild, das eine erstaunlich gerade Linie auf der Ozean Oberfläche zeigte. Was wie ein sehr schmales (500 m breites) Band von Eis aussah, erstreckte sich über 50 km von Nordosten nach Südwesten. Da dies Phänomen zu dem Zeitpunkt nur 3 Stunden von unserem Arbeitsgebiet entfernt war, schien es eine gute Gelegenheit zu sein, eine Front zu vermessen. Also machten wir uns auf den Weg, die Linie in einem rechten Winkel zu kreuzen.

Unsere Vermessung begann mit dem Aussetzen der geschleppten CTD (eng. Underway CTD: UCTD). Dies ist ein kleines Gerät von nur 4 kg, das mit dem Schiff durch ein - wie es sich anfühlt vieeel zu dünnes - Kevlar Seil von nur 3 mm Dicke verbunden ist. Das Gerät wird vom Heck aus ausgebracht und ist mit einer handlichen Winde verbunden, die zum Ausbringen in den ‚Freifall Modus‘ gestellt wird. Auf seinem Weg nach unten misst das Gerät Temperatur, Salzgehalt und Druck, was Ozeanographen liebend gern nutzen um unterschiedliche Wassermassen zu identifizieren. Wir ließen es 90 Sekunden fallen, in denen es ungefähr eine Wassertiefe von 220 m erreichte, bevor wir es mit der Winde wieder einholten. Das wurde dann über einen Zeitraum von 3 Stunden alle 5 Minuten wiederholt. Auf der Hälfte der Zeit, nach etwa 1,5 Stunden, mussten wir eine Pause von etwa 10 Minuten einlegen, da das Schiff durch ein dickes Band von Eis fuhr. Das war ein erstes hoffnungsvolles Zeichen, dass die Front noch immer dort war, wo basierend auf der langen Linie von Eis, das Satelliten Bild sie 3 Tage vorher angedeutet hatte. So erfassten wir also unseren ersten Schnitt über die Front, von 15 km auf der einen Seite des Phänomens und 15 km auf seiner anderen Seite.

Dann war es Zeit, die UCTD wieder an Deck zu holen, um uns die aufgezeichneten Daten anzugucken. Nach einigen schnellen Berechnungen gab der Ozean seine Struktur entlang dieser Linie preis: Unterhalb der langen Linie von Eis war eine Kuppel von deutlich wärmerem Wasser, das möglicherweise aus größeren Tiefen nach oben bewegt worden war. Solche Bewegung nach oben kann nährstoffreiches Wasser in Tiefen bringen, in denen ausreichend Licht ist, damit Phytoplankton wachsen kann und die Bewegung kann auch Ruderfußkrebse und andere Zooplankton Arten nach oben zur Meeresoberfläche schleppen. Da tierische und pflanzliche Planktonorganismen überwiegend im Ozean herumdriften sind derartige Untersuchungen der physikalischen Ozeanographie so wichtig für das Verständnis der biologischen Prozesse. Vor diesem Hintergrund führten wir außerdem eine Reihe von biologischen Untersuchungen durch. Während der UCTD Transekte nutzen wir zeitgleich das fest im Schiff verbaute AUTOFIM um etwa alle 15 Minuten Wasserproben zu nehmen und zu filtrieren. Das AUTOFIM ist tief unten im Bug etwa 10 m unter der Meeresoberfläche eingebaut. Alle Arbeitsschritte von der Wasser Probennahme bis zur Filtration geschehen vollautomatisch und computergestützt. Die Proben werden schließlich genutzt um mit neuesten genetischen Methoden die Zusammensetzung des Phytoplanktons und anderer mariner Mikroben zu untersuchen. Aufgrund dieser vollautomatischen Beprobung reduziert sich die Zeit für das eine einzige Probenahme um etwa den Faktor drei und erlaubt somit Beprobungen in deutlich höherer zeitlicher und räumlicher Auflösung. Der Einsatz dieses Systems erlaubt es uns die Untersuchungen der physikalischen Prozesse an der Front mit aussagefähigen hoch-aufgelösten Informationen über biologische Lebensgemeinschaften zu ergänzen.

Um die Unterschiede in der Wassersäule über eine Entfernung von wenigen Kilometern zu beschreiben, suchten wir uns einige Orte innerhalb der Frontengrenze als Ziele für Stationen aus. Diese Stationen wurden so gewählt, dass einige innerhalb des Phänomens waren, einige an seinem Rand, und einige außerhalb.

Bei der ersten Station setzten wir den CTD-Wasserschöpfer aus, sowie den ‚Marine-Snow Catcher‘, die in-situ Partikelkamera, das LOKI und das Multinetz. Das Ziel war Wasserproben zu sammeln um biologische und chemische Parameter zu bestimmen und um die vertikal Verteilung von Partikeln und Zooplankton in der Wassersäule zu bestimmen. Außerdem setzten wir zwei frei driftende Sedimentfallen aus mit dem Ziel Unterschiede in der Menge von Material zu bestimmen, das von der Meeresoberfläche zum Meeresboden sinkt. Die größten Algenkonzentrationen erschienen in der Tat in dem Zentrum der Kuppel zu sein, wo die nährstoffreichen tieferen Wassermassen nach oben in die von Sonnenlicht durchfluteten Schichten bewegt worden waren und eine Algenblüte hervorgerufen hatten. Die hydrographischen Bedingungen beeinflussten auch die Zooplankton Artengemeinschaften. Die Gesamtzahl von Zooplankton innerhalb der Kuppel war ungefähr doppelt so hoch wie an den Stationen außerhalb. An der Oberfläche der Kuppel gab es weniger arktische Kaltwasserarten verglichen mit den Stationen am Ende des Schnittes, was dazu passte, dass die Schicht des polaren Oberflächenwassers in der Kuppel deutlich dünner war. Im Gegensatz dazu wurden Ruderfußkrebse, die normalerweise tiefer leben, in der Kuppel nach oben gezogen. Bestimmte Ruderfußkrebsarten schienen die erhöhte Algenproduktion am Rand der Kuppel für Reproduktion und Wachstum zu nutzen.

Während der ersten Station luden wir die Batterie der UCTD und entschieden wo die nächsten Schnitte sein sollten. Die Schnitte wurden parallel zum ersten Schnitt gelegt, um in der Lage zu sein, verstehen zu können, was in den Richtungen passierte. Setzte sich die Front einfach in der gleichen Form für die 50 km, die im Satelliten Bild zu sehen gewesen waren fort, oder änderte sich die Front über eine bestimmte Entfernung und was wäre dann diese Entfernung? Also, auf zum nächsten Schnitt, wo es dann wieder hieß: „Lass die UCTD fallen.“, „Noch 10 Sekunden Freifall.“, „Stopp und UCTD wieder einholen.“, Hinausblicken auf die sonnige See mit Eisschollen, denen der Offizier auf der Brücke ausweichen musste, damit das Kevlar Seil sich nicht verhakt, und, oh, dann „Wieder bereit? Ok, lass die UCTD fallen.“ Als wir so draußen arbeiteten, d.h. als wir am Heck von Polarstern standen, gab es Witze über Sonnenbrand bei 79°N. Ein Papageitaucher besuchte uns auch und er (oder war es eine Sie?) flog mehrfach um das Schiff und sorgte für Freude. Nach 3 Stunden gingen wir wieder nach drinnen, um die neu aufgezeichneten Daten zu sichten, während die nächste Probenahme-Station stattfand. Ok, Daten, sagt uns doch wo unsere nächsten Schnitte und Stationen sein sollen! Nach drei Wiederholungen dieser Schnitt-Stationen Abfolge, wurde es klar, dass die Front nicht mehr eine gerade Linie von 50 km war. Wir hatten allerdings recht viel Glück gehabt mit dem Ort, an den wir unseren ersten Schnitt gelegt hatten, da die Abweichungen entlang der Schnitte weiter im Nordosten und Südwesten deutlich kleiner waren, sodass sich langsam eine fast kreisrunde Struktur mit einem Radius von 5 km herausbildete. Es schien, als ob wir in der Tat einen Wirbel vermessen hatten, mit den Beprobungen innerhalb des Wirbels, an seinem Rand und außerhalb des Wirbels. Zusätzliche Geräte, die während unserer Schnitte vom Schiff aus liefen, wie z.B. das im Schiffsrumpf verbaute ADCP und der Thermosalinograph, unterstützten diese Interpretation. Das bedeutet, dass die Front vermutlich zwischen der Zeit des Satelliten Bildes und unserer Vermessungen in Wirbel zerbrochen war, von denen wir dann einen vermessen haben.

Die bisher nur vorläufig gesichteten Ergebnisse machen uns große Hoffnung, dass wir in der Gesamtschau der gewonnen Daten zu den ozeanographischen und biologischen Prozessen zu Hause diesem Wirbel weitere Geheimnisse entlocken können.

Alle hier an Bord sind weiterhin wohlauf und hoch motiviert auch die zweite Hälfte unseres Expeditonsprogrammes ähnlich erfolgreich fortzuführen. Doch darüber mehr in unserem nächsten Wochenbericht.

Grüße an Alle daheim,
Wilken-Jon von Appen, Holger Auel, Nicole Hildebrand, Katja Metfies und  Ingo Schewe

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